Das Buch der verlorenen Dinge
war der perfekte Jäger, weil es sowohl die Kraft und Schnelligkeit eines Pferdes besaß als auch die Geschicklichkeit und Intelligenz eines Mannes. Du warst schnell gestern auf deinem Pferd, aber du warst nicht wirklich eins mit ihm. Ich meine, passiert es nicht manchmal, dass dein Pferd stolpert oder sich anders bewegt, als du erwartet hast? Mein Vater ist früher als Junge geritten, und er hat mir erzählt, dass selbst die besten Reiter manchmal aus dem Sattel geworfen werden. Wenn ich ein Zentaur wäre, würde ich das Beste von Pferd und Mensch in mir vereinen, und auf der Jagd würde mir nichts entkommen.«
Der Blick der Jägerin wanderte von David zu dem Fuchs und wieder zurück. Dann drehte sie sich um und ging zu ihrem Schreibtisch. Sie nahm ein Stück Papier, Tinte und einen Federkiel heraus und begann zu zeichnen. Von dort, wo er saß, konnte David Diagramme und Zahlen erkennen und die Umrisse von Pferden und Menschen, gemalt mit der Sorgfalt eines Künstlers. Er störte die Jägerin nicht, sondern schaute ihr geduldig zu, und als er den Blick zur Seite wandte, sah er, dass der Fuchs sie ebenfalls beobachtete. So saßen Junge und Fuchs abwartend da, bis die Jägerin endlich ihre Arbeit beendet hatte.
Sie stand auf, trat wieder an die beiden großen Operationstische und kettete dort ohne ein Wort Davids freie Hand fest, sodass er sich nicht mehr bewegen konnte. Ihn überkam Panik. Vielleicht hatte sein Plan nicht funktioniert, und sie würde jetzt mit der Operation beginnen, ihm den Kopf abtrennen und ihn auf den Körper eines wilden Tieres verpflanzen, sodass aus Blut und Schmerz und Salbe ein neues Wesen entstand. Würde sie ihn mit einem einzigen Axthieb enthaupten oder sich mit der Säge durch Knorpel und Knochen fressen? Würde sie ihn betäuben, sodass er als ein Wesen einschlief und als ein anderes erwachte, oder gab es einen Teil in ihr, der es genoss, anderen Schmerz zuzufügen? Als ihre Hände ihn berührten, hätte er am liebsten laut geschrien, doch er riss sich zusammen, schluckte seine Angst hinunter und schwieg, und seine Selbstdisziplin wurde belohnt.
Sobald David festgemacht war, schlüpfte die Jägerin in ihren Kapuzenmantel und verließ das Haus. Ein paar Minuten später hörte er Hufgetrappel, das alsbald im Wald verklang. David und der Fuchs blieben allein zurück, zwei Wesen kurz vor der Verschmelzung zu einem einzigen.
David döste ein und erwachte erst wieder, als die Jägerin zurückkam. Diesmal klang der Hufschlag sehr nah. Die Haustür ging auf, und die Jägerin kam herein, ihr Pferd am Zügel. Im ersten Moment sperrte sich das Tier dagegen, das Haus zu betreten, doch sie sprach leise mit ihm, und nach kurzem Zögern folgte es ihr durch die Tür. David sah, wie die Nüstern des Pferdes auf die Gerüche im Haus reagierten, und er meinte, Angst in seinen Augen zu sehen. Die Jägerin band den Zügel an einen Ring in der Wand und trat auf David zu.
»Ich schlage dir einen Handel vor«, sagte sie. »Ich habe über diese Sagengestalt, diesen Zentauren, nachgedacht. Du hast recht, ein solches Wesen wäre der perfekte Jäger. Ich möchte so eines werden. Wenn du mir hilfst, gebe ich dir mein Wort, dass ich dich freilasse.«
»Woher weiß ich, dass du mich nicht tötest, sobald du ein Zentaur bist? «, fragte D avid.
»Ich werde meinen Bogen und meine Pfeile zerstören, und ich werde dir eine Karte zeichnen, wie du zur Straße zurückkommst. Selbst wenn ich dir folgen sollte, was könnte ich dir denn tun, ohne meinen Bogen? Später werde ich mir natürlich einen neuen machen, aber bis dahin bist du längst fort, und falls du jemals wieder durch meinen Wald kommen solltest, lasse ich dich ungehindert passieren, zum Dank für alles, was du für mich getan hast.«
Dann beugte sich die Jägerin vor und flüsterte David ins Ohr: »Aber wenn du dich weigerst, mir zu helfen, werde ich dich mit dem Fuchs verschmelzen, und ich schwöre dir, dass du das Ende dieses Tages nicht mehr erlebst. Ich werde dich durch den Wald jagen, bis du vor Erschöpfung zusammenbrichst, und wenn du nicht mehr laufen kannst, werde ich dir bei lebendigem Leib das Fell abziehen und mich an kalten Wintertagen daran wärmen. Du kannst leben oder sterben. Die Entscheidung liegt bei dir.«
»Ich will leben«, sagte David.
»Dann sind wir uns ja einig«, sagte die Jägerin. Damit warf sie ihren Bogen und ihre Pfeile ins Feuer und zeichnete David eine detaillierte Karte des Waldes, auf der der Weg zur Straße
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