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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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nach, und die Tür ging auf. David riss sich frei und lief nach draußen, blieb jedoch nach wenigen Schritten wie angewurzelt stehen.
    Er war nicht allein.
    Auf der Lichtung vor dem Haus drängte sich eine ganze Ansammlung von Wesen mit dem Körper eines Kindes und dem Kopf eines Tieres. Da waren Füchse und Rehe und Kaninchen und Wiesel, die Köpfe der kleineren Tiere seltsam unproportioniert auf den viel zu großen menschlichen Schultern, der Hals verengt durch die Zaubersalbe. Die Mischwesen bewegten sich unbeholfen, als hätten sie keine Kontrolle über ihre Glieder. Langsam schlurften und schwankten sie auf das Haus zu, die Gesichter gezeichnet von Verwirrung und Schmerz. Genau in dem Moment schleppte sich die Jägerin durch die Tür und nach draußen auf den Rasen. Das Messer fiel ihr aus dem Mund, und sie packte es mit der Hand.
    »Was wollt ihr hier, ihr Missbildungen? Verschwindet. Kriecht zurück in eure dunklen Ecken.«
    Doch die Wesen antworteten nicht, sondern taumelten weiter vorwärts, den Blick starr auf die Jägerin gerichtet. Die Jägerin sah zu David auf. Jetzt hatte sie Angst.
    »Bring mich wieder rein«, sagte sie. »Schnell, bevor sie mich erreichen. Ich vergebe dir alles, was du getan hast. Du kannst gehen. Aber lass mich nicht allein mit… denen.«
    David schüttelte den Kopf. Er wich zurück, als ein Wesen mit dem Körper eines Jungen und dem Kopf eines Eichhörnchens ihn mit schnüffelnder Nase musterte.
    »Verlass mich nicht«, rief die Jägerin. Ängstlich stocherte sie mit dem Messer in die Luft, während die Kreaturen, die sie erschaffen hatte, sie umzingelten.
    »Hilf mir!«, schrie sie David zu. »Bitte hilf mir!«
    Und dann stürzten sich die Wesen auf sie, kratzend und beißend, zerrend und schlitzend, während David sich von dem schrecklichen Anblick abwandte und in den Wald lief.

18
    Von Roland
     
     
     
    Viele Stunden langging David durch den Wald und versuchte, so gut er konnte, der Karte der Jägerin zu folgen. Dort waren Pfade eingezeichnet, die es entweder nicht mehr gab oder die überhaupt nie existiert hatten. Steinhaufen, die über Generationen hinweg als primitive Wegmarkierungen gedient hatten, waren oft von hohem Gras verdeckt, mit Moos überwuchert oder von Tieren oder gehässigen Reisenden zerstört worden, sodass David immer wieder umkehren oder mit dem Schwert im Unterholz stochern musste, um die Markierungen zu finden. Bisweilen fragte er sich, ob die Jägerin ihm absichtlich eine falsche Karte gezeichnet hatte, damit er in ihrem Wald gefangen blieb, eine leichte Beute, sobald sie zur Zentaurin geworden war.
    Dann erblickte er plötzlich eine schmale weiße Linie, die zwischen den Bäumen hindurchschimmerte, und wenige Augenblicke später stand er am Rand des Waldes, die Straße vor sich. David hatte keine Ahnung, wo er sich befand, wieder in der Nähe der Zwergenkreuzung oder weiter östlich, aber es war ihm egal. Er war nur froh, endlich aus dem Wald heraus und wieder auf der Straße zu sein, die ihn zu der Burg des Königs bringen würde.
    Er ging weiter, bis das schwache Licht dieser Welt zu schwinden begann, dann setzte er sich auf einen Felsen, aß ein Stück Brot und ein paar von den Trockenfrüchten, die die Zwerge ihm aufgedrängt hatten, und spülte das Ganze mit kühlem Wasser aus dem Bach hinunter, der entlang der Straße verlief.
    Er fragte sich, was sein Vater und Rose wohl taten. Wahrscheinlich machten sie sich mittlerweile große Sorgen um ihn, aber er wusste nicht, was passieren würde, falls sie im Senkgarten nach ihm suchten, oder ob überhaupt noch etwas von dem Garten übrig war. Er erinnerte sich, wie die Flammen des brennenden Flugzeugs den Nachthimmel erleuchtet hatten, und hörte noch das stotternde Dröhnen des Motors. Bestimmt hatte es den Garten beim Aufprall völlig verwüstet, Steine und Flugzeugteile über den Rasen geschleudert und die Bäume dahinter in Brand gesetzt. Vielleicht war die Lücke in der Mauer, durch die David geflohen war, verschüttet, und der Übergang von seiner Welt in diese existierte nicht mehr. Sein Vater konnte nicht wissen, ob David im Garten gewesen war, als das Flugzeug abstürzte, oder was aus ihm geworden war, falls er sich dort aufgehalten hatte. David stellte sich vor, wie Männer und Frauen in den Überresten des Flugzeugs scharrten, auf der Suche nach verkohlten Leichnamen, voller Angst, sie könnten einen finden, der kleiner war als der Rest…
    Nicht zum ersten Mal fragte David sich besorgt, ob es

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