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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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richtig war, sich immer weiter von dem Ort zu entfernen, durch den er diese Welt betreten hatte. Falls sein Vater oder jemand anders einen Weg hierher fand und ihn suchen kam, würde er dann nicht an derselben Stelle ankommen? Der Förster war so sicher gewesen, dass es das Beste war, sich zum König aufzumachen, aber der Förster lebte nicht mehr. Er hatte es nicht geschafft, sich vor den Wölfen zu retten, und er hatte es auch nicht geschafft, David zu beschützen. Der Junge war ganz allein.
    David blickte die Straße entlang. Er konnte nicht mehr zurück. Wahrscheinlich suchten die Wölfe immer noch nach ihm, und selbst wenn er irgendwie zu der Schlucht zurückfand, würde er eine neue Brücke finden müssen. Ihm blieb nichts anderes übrig als weiterzugehen und zu hoffen, dass der König ihm helfen konnte. Wenn sein Vater ihn suchen kam, nun, dann würde er sich wohl allein durchschlagen müssen. Doch für den Fall, dass er oder jemand anders hier vorbeikam, nahm David einen flachen Stein vom Bachufer und ritzte mit einem anderen, spitzen Stein seinen Namen und einen Pfeil hinein, um die Richtung anzuzeigen, in die ergehen würde. Darunter schrieb er: »Zum König«. Er schichtete einen kleinen Steinhaufen neben der Straße auf, genau wie die, die im Wald die Pfade markierten, und legte seine Botschaft obenauf. Mehr konnte er nicht tun.
    Als er die Reste seiner Mahlzeit wieder einpackte, erblickte er einen Reiter auf einem Schimmel, der auf ihn zukam. Davids erster Impuls war, sich zu verstecken, doch wenn er den Reiter sehen konnte, konnte der auch ihn sehen, also war es sinnlos. Als der Fremde näher kam, sah David, dass er einen silbernen Brustpanzer mit einem doppelten Sonnensymbol trug, und auf seinem Kopf saß ein silberner Helm. An seiner Seite hing ein Schwert, und er hatte sich einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen über die Schulter geschlungen – offenbar die bevorzugten Waffen in dieser Welt. Am Sattelknauf hing ein Schild, ebenfalls mit dem Abzeichen der doppelten Sonne. Als der Reiter David erreicht hatte, hielt er sein Pferd an und sah zu dem Jungen hinunter. Er erinnerte David an den Förster, weil auf seinem Gesicht ein ähnlicher Ausdruck lag: ernst und doch freundlich.
    »Wo willst du denn hin, junger Mann?«, fragte er David.
    »Ich will zum König«, sagte David.
    »Zum König?« Der Reiter wirkte nicht sonderlich beeindruckt. »Was könnte der denn jemandem nützen?«
    »Ich versuche, nach Hause zu kommen. Man hat mir gesagt, der König hätte ein Buch, und in dem Buch könnte vielleicht ein Hinweis sein, wie ich wieder in das Land zurückkehren kann, aus dem ich komme.«
    »Und welches Land ist das?«
    »England«, sagte David.
    »Hm, ich glaube, den Namen habe ich noch nie gehört«, sagte der Reiter. »Das muss sehr weit von hier sein. Alles ist sehr weit von hier«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.
    Er setzte sich im Sattel zurecht und ließ den Blick schweifen, über die Bäume, die Hügel dahinter und die Straße vor und hinter ihnen.
    »Das hier ist kein Ort, an dem ein Junge allein unterwegs sein sollte«, sagte er.
    »Ich bin vor zwei Tagen über die Schlucht gekommen«, sagte David. »Da waren Wölfe, und sie haben den Mann, der mir geholfen hat, den Förster – «
    David brach ab. Er wollte nicht aussprechen, was dem Förster zugestoßen war. Wieder sah er vor sich, wie sein Freund unter dem Angriff der Wölfe gestürzt war, und dann die Blutspur, die in den Wald führte.
    »Du hast die Schlucht überquert?«, fragte der Reiter. »Jemand hat die Taue durchgeschnitten – warst du das?«
    David versuchte, im Gesicht des Reiters zu lesen. Er wollte keinen Ärger bekommen, und bestimmt hatte er eine Menge Schaden angerichtet, indem er die Brücke zerstörte. Aber lügen wollte er auch nicht, und irgendetwas sagte ihm, dass der Reiter ihn durchschauen würde, falls er es tat.
    »Es ging nicht anders«, sagte er. »Die Wölfe waren hinter mir her. Mir blieb nichts anderes übrig.«
    Der Reiter schmunzelte. »Die Trolle waren ziemlich verstimmt«, sagte er. »Sie müssen die beiden Brücken wieder aufbauen, wenn sie weiter ihr Spielchen treiben wollen, und die Harpyen werden sie dabei schikanieren, wo sie nur können.«
    David zuckte die Achseln. Er hatte kein Mitleid mit den Trollen. Reisende zu zwingen, ihr Leben für ein albernes Rätsel zu riskieren, gehörte sich einfach nicht. Im Gegenteil, er hoffte sogar, dass die Harpyen ein paar von den Trollen zum Abendessen

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