Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Licht durstig aufgeschleckt, ja sie presste sogar ihre Lippen auf die Wunde in der Rinde des Baums und raubte ihm saugend Leben und Kraft.
Ein verhängnisvolles Geschick wollte es, dass diese Tat nicht sogleich bemerkt wurde, denn es war die Zeit, in der Laurelin gewöhnlich in tiefster Ruhe lag; und nun, o Jammer, würde er nie mehr erwachen zum Glanz und die Gesichter derGötter in Schönheit und Freude erstrahlen lassen. Weil sie so viel Licht getrunken hatte, wallte plötzlich Übermut in Gwerlums Herz auf, sie missachtete Melkos Warnungen, ließ sich vielmehr nahe den Wurzeln Silpions nieder und spie unheilvolle Dämpfe von Nacht aus, die wie Flüsse aus Schwärze bis vor die Tore von Valmar strömten. Nun nimmt Melko die Waffe, die ihm geblieben war, ein Messer, und will die verbleibende Zeit nutzen, den Stamm von Silpion nach Kräften zu verletzen; doch ein Gnom, Daurin (Tórin) genannt, der voll böser Ahnungen von Sirnúmen herbeikommt, erblickt ihn und stürzt laut schreiend auf ihn los. So rasch vollzog sich der Angriff des ungestümen Gnomen, dass er, ehe Melko es gewahr wird, Wirilóme einen Schlag versetzt hat, die in Gestalt einer Spinne über die Erde kriecht. Nun war die scharfe Klinge, die Daurin führte, in der Schmiede Aules gefertigt und in miruvor getaucht worden, sonst hätte er gegen dieses geheimnisvolle Geschöpf nichts ausrichten können; so aber schlägt er eines ihrer mächtigen Beine ab, und seine Klinge wird mit ihrem schwarzen Blut besudelt, einem tödlichen Gift für alles, das vom Licht lebt. Da windet sich Wirilóme und wirft einen Faden über ihn, dass er sich nicht befreien kann, und Melko ersticht ihn unbarmherzig. Dann entreißt er die strahlende scharfe Klinge dem Griff der sterbenden Hand und stößt sie tief in Silpions Stamm, und das Gift in Gwerlums schwarzem Blut ließ den reinen Lebenssaft und die Kraft des Baumes verdorren, und jäh welkte sein Licht zu einem trüben Glühen, verloren in undurchdringlicher Finsternis.
Darauf wandten sich Melko und Wirilóme zur Flucht, keinen Augenblick zu früh, denn einige, die Daurin gefolgt und Zeuge seines traurigen Schicksals gewesen waren, flohen entsetzt nach Kôr und Valmar, wie von Sinnen durch die Dunkelheit stolpernd, aber die Valar reiten bereits mit größterGeschwindigkeit hinaus auf die Ebene, doch zu spät, um die Bäume zu schützen, die sie nun in Gefahr wissen.
Nun bestätigen sich die Befürchtungen der Noldoli, sie erkennen, dass Melko wirklich der Urheber des Unheils ist, und sie haben nur noch den einen Wunsch, ihn und seine Mittäter zu ergreifen, bevor sie hinter den Bergen verschwinden können.
Tulkas führt diese große Jagd an, sicheren Fußes durch die Dämmerung eilend, und Orome kann mit ihm nicht Schritt halten, denn selbst sein göttliches Reittier kann sich nicht so ungestüm in die umfangende Nacht stürzen wie Poldórea in der Hitze seines Zorns. Ulmo vernimmt das Geschrei in seinem Hause in Vai, und Osse erhebt sein Haupt über die Oberfläche der Schattenmeere, und als er kein Licht mehr durch das Tal von Kôr fallen sieht, springt er auf den Strand von Eldamar und eilt hinzu, um sich den Ainur auf ihrer Verfolgung anzuschließen. Nun ist der einzige helle Ort, der Valinor geblieben ist, jener Garten, wo aus Kulullin die goldene Quelle entsprang, und da weinen Vána und Nessa und Urwen und viele Mädchen und Frauen der Valar, doch Palúrien umgürtet ihren ungeduldigen Gemahl mit dem Schwert, und Varda ist an der Seite ihres Gatten vom Taniquetil herabgeritten und trägt als Fackel einen strahlenden Stern vor ihm her.
Auch Telimektar, Sohn des Tulkas, ist unter diesen Edlen, und sein Antlitz und seine Waffen leuchten wie Silber in der Dunkelheit, doch weil nun die Götter und ihre Gefolge in alle Richtungen reiten und einige Fackeln in den Händen halten, ist die ganze Ebene erfüllt von schwachen wandernden Lichtern und vom Klang der Stimmen, die in der Dunkelheit widerhallen.
Kaum ist Melko verschwunden, trifft eine Vorhut der Verfolger bei den Bäumen ein, und die Valar wollen beinahe verzagen angesichts der Verwüstung, die sie dort erblicken; dochnun werden Melko und einige seiner Gefährten, einstmals Kinder Mandos’, von Ungwe getrennt, die, in Nacht gehüllt, sich nach Süden wendet und über die Berge zu ihrer Behausung gelangt, ohne dass die Verfolger ihr je nahe kommen; doch die anderen fliehen mit großer Schnelligkeit nach Norden, wo Melkos Gefährten sich in den dortigen Bergen
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