Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
gestohlenen Schatz für eine Weile zu verstecken.
Darum sucht er, bis er eine dunkle Höhle in den Bergen findet, die Finsternis so dicht umspinnt, dass die schwarze Luft sich schwer und erstickend auf Gesicht und Hände zu legen scheint. Sehr tief und gewunden waren diese Gänge, und sie hatten, wie es in den alten Büchern heißt, einen unterirdischen Ausgang ins Meer; und hier wurden später der Mond und die Sonne für eine Zeitlang eingesperrt; 10 denn hier hauste die urweltliche Geisterfrau Móru, von der sogar die Valar nicht wussten, woher oder wann sie gekommen war, und die Erdbewohner haben ihr viele Namen gegeben. Vielleicht wurde Móru an den Ufern der Schattenmeere aus Nebeln und Dunkelheit gezeugt, in jener undurchdringlichen Finsternis, die zwischen dem Sturz der Lampen und der Entzündung der Bäume herrschte; doch es ist wahrscheinlicher, dass es sie immer gegeben hat; und sie liebt nichts so sehr, wie an diesem dunklen Ort zu hausen, wo sie die Gestalt einer garstigen Spinne annimmt und einen klebrigen Schleier aus Düsternis webt, der mit seinem Maschenwerk Sterne und Monde und alle leuchtendenDinge einfängt, welche die Lüfte durchschweben. Es rührt gewiss von ihrem dunklen Treiben her, dass so wenig von jenem Überfluss des Lichts der Zwei Bäume jemals in die Welt strömte, denn gierig saugte sie Licht auf, das sie nährte, doch selber brachte sie nur jene Dunkelheit hervor, die der Feind jeglichen Lichtes ist. Ungwe Lianti, die Netzespinnerin, nannten sie die Eldar, auch Wirilóme oder Weberin der Düsternis; und die Noldor sprechen von ihr als Ungoliont, der Spinne, oder Gwerlum, der Schwarzen.
Zwischen Melko und Ungwe Lianti indes herrschte von Beginn an Freundschaft, als sie ihn und seine Gefährten auf deren Streifzug durch ihre Höhlen entdeckte, doch sobald die Weberin der Düsternis den Schatz erblickte, hungerte sie nach dem strahlenden Licht der Edelsteine.
Melko, der die Noldoli beraubt und Leid und Verwirrung in das Reich von Valinor gebracht hatte, ersann nun einen Plan, finsterer und unergründlicher als den vorigen, um seine Macht zu vergrößern; darum bietet er Ungwe, da er die Gier in ihren Augen sieht, den ganzen Schatz an, mit Ausnahme der drei Silmaril, wenn sie ihm bei seinem neuen Vorhaben helfe. Das sagt sie ihm bereitwillig zu, und so gelangte der gesamte Schatz prächtiger Gemmen, schöner als alle Edelsteine, welche die Welt je gesehen hat, in die niederträchtige Hut Wirilómes, wurde eingesponnen in Netze aus Düsternis und tief verborgen in den Höhlen der östlichen Hänge der hohen Berge, welche die Südbegrenzung von Eruman bilden.
Weil sie wähnen, dass jetzt die rechte Zeit zum Losschlagen sei, da Valinor noch in Aufruhr ist und Aule und Tulkas die Lücke in den Bergen noch nicht versperrt haben, krochen Melko und Wirilóme nach Valinor, verbargen sich in einem Tal in den Vorgebirgen und warteten, bis Silpion in Blüte stand; doch während der ganzen Zeit wob die Weberin derDüsternis ihre lichtlosen Schleier und Schatten, in denen böse Zauber hausten. Diese lässt sie hinabfließen, so dass sich über die ganze westliche Ebene Valinors statt des zarten Silberlichtes von Silpion nun eine trübe unbestimmte Dunkelheit ausbreitet, in der schwache Lichter glimmen. Dann hüllt sie sich und Melko in schwarze Mäntel, die unsichtbar machen, und sie schleichen über die Ebene, so dass die Götter sich verwundern und die Elben von Kôr sich ängstigen; gleichwohl argwöhnen sie bis jetzt nicht, dass Melko dabei die Hand im Spiel haben könnte, sondern glauben, Osse sei am Werk, der zuweilen mit seinen Stürmen dichte Wolken von Nebel und Dunkelheit hervorrief, die, von den Schattenmeeren herbeischwebend, sogar die reinen Lüfte von Valinor durchdrangen; obgleich er sich dadurch den Zorn Ulmos und Manwes zuzog. Da sandte Manwe eine leichte westliche Brise aus, wie er es normalerweise zu solchen Zeiten tat, um alle Meeresdünste nach Osten zurück übers Meer zu blasen, doch diesmal vermochte der sanfte Wind nichts gegen das dichte klebrige Nachtgespinst, das Wirilóme weit draußen gewoben hatte. So geschah es denn, dass Melko und die Spinne der Nacht unbemerkt zu den Wurzeln Laurelins gelangten, und Melko, all seine gottähnliche Kraft aufbietend, stieß ein Schwert in seinen schönen Wurzelstock; gewiss hätten ihn die feurigen Strahlen, die hervorschossen, ebenso verzehrt wie sein Schwert, hätte nicht die Weberin der Düsternis sich niedergeworfen und das
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