Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
mich sehr gefreut, sie wiederzusehen«, gestand er ein.
»Und außerdem hast du gewonnen! Ich bin froh, dass es dir gut geht, nach all diesen Jahren! Aber komm doch herein! Komm!«
Samuel folgte ihr über den Flur bis ins Wohnzimmer, das noch immer im selben maritimen Stil wie früher eingerichtet war: helle Holzvertäfelung an den Wänden, alte Karten, der große Mahagonibücherschrank, das ausgebleichte Parkett, in jeder Ecke alte Navigationsgeräte. Sie setzten sich auf das große Ledersofa neben dem Couchtisch, an dem seine Eltern so oft gesessen hatten.
»Und wie geht es Allan?«, fragte Helen.
»Er ist. . . er ist auf Reisen.«
»Ach, schön. Geschäftlich, nehme ich an? Läuft die Buchhandlung gut?«
»Ah, ja, es lässt sich ganz gut an.«
»Ich glaube, dein Vater hat einen guten Ruf bei den Sammlern, das allein ist schon sehr wichtig! Weißt du«, fuhr sie etwas unsicher fort, »wir haben uns große Sorgen um ihn gemacht. Ich meine, nachdem deine Mutter nicht mehr war... Allan hat sich verschlossen wie eine Auster, hat sich vollkommen in seinem Schneckenhaus verkrochen. Er wollte nicht mehr ausgehen, nicht mehr reden, uns nicht mehr sehen . . . Ich glaube, wir hätten ihm gegenüber hartnäckiger bleiben müssen, ihn nicht so sich selbst überlassen dürfen. Wir hätten ihn zwingen müssen! Später habe ich mir Vorwürfe gemacht. Nicht zuletzt auch wegen dir... Es ist nicht gut für einen zehn- oder elfjährigen Jungen, sich nach so etwas zu Hause einzuschließen . . . Kurz und gut, ich habe einfach das Gefühl, nicht richtig gehandelt zu haben. Ich hoffe, du trägst es mir nicht allzu sehr nach . . .«
Samuel wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Aus seiner Sicht war es eher er selbst gewesen, der sich in seinem Kummer vergraben hatte – in Imitation seines Vaters — und sich durch nichts davon hatte ablenken lassen wollen. Nicht einmal durch Alicia . . .
»Machen Sie sich keine Gedanken, Mrs Todds«, sagte er schließlich. »Heute geht es mir wieder gut.«
Sie sah ihn prüfend an.
»Und was ist mit dem blauen Fleck da an deinem Auge?«
»Oh, das, das habe ich mir beim Wettkampf geholt.«
»Na, wenn es so ist.« Gut gelaunt fragte sie: »Was ist mit der Frage, die du mir stellen wolltest?«
Welcher Frage?, überlegte Sam kurz, dann fiel ihm sein Vorwand wieder ein.
»Also, um ehrlich zu sein, es ist eine ziemlich merkwürdige Sache. Neulich lief im Fernsehen eine Sendung über flämische Malerei, die ich mir angesehen habe. Kunst ist nämlich mein Lieblingsfach. Ich weiß, es klingt unglaublich, aber es gab da ein Porträt, man hätte schwören können, es wäre Alicia.«
»Das kann doch nur ein Zufall gewesen sein!«
»Das habe ich mir zuerst auch gesagt, aber im Laufe der Sendung haben sie erklärt, dass die junge Frau von ihrem Vater, Hans Bakus, gemalt worden ist und kurz darauf einen van Todds geheiratet hat.«
»Van Todds? Das ist ja wirklich komisch! Ich glaube, Marks Urgroßvater hieß van Todds! Das >van< hat er verloren, als er den Atlantik überquerte. Aber er kam tatsächlich von da drüben, aus Belgien. Wenn ich mich recht erinnere, hat es sogar ein oder zwei Maler in der Familie gegeben. Und wie war dieses Gemälde?«
Samuel erinnerte sich daran, wie ihm Yser, die Vorfahrin von Alicia Todds, Modell gesessen hatte, inmitten der Öl -und Kampfergerüche in Hans Bakus' Atelier. Sam hatte bei der Arbeit an dem Gemälde eigentlich nur die Hände des Mädchens vollendet, aber er war ziemlich stolz auf das Ergebnis.
»Sehr . . . sehr gelungen. Das Modell trug ein schönes Kleid aus schwarzem Samt, dazu einen Hut und . . .«
Bevor er den Satz beenden konnte, ertönte die Klingel an der Haustür.
»Das muss Alicia sein, sie klingelt immer, bevor sie aufschließt. Komm, wir werden sie überraschen.«
Als sie in den Flur kamen, stand Alicia bereits in der Tür. Doch sie war nicht allein: Jerry Paxton hatte den Arm um ihre Schultern gelegt. Eben noch hatte Sam das Gefühl gehabt, dass sein Herz dahinschmolz, jetzt spürte er, wie es mit einem Schlag gefror. Alicia musterte ihn erstaunt, während Jerry das Gesicht verzog.
»Was hast du hier zu suchen, Faulkner? Hast du deinen Kompass verloren?«
Helen nahm ihm die Antwort ab:
»Wen ich in meinem Haus empfange, kannst du ruhig mir überlassen, meinst du nicht, Jerry?«
Paxton sah beinahe aus, als wollte er sich entschuldigen. Mit einem kurzen Gruß verabschiedete er sich von Mrs Todds, küsste ihre Tochter auf die Wange und
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