Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
reingestochen, Papa?«
Doch wieder einmal blieb sein Vater ihm die Antwort schuldig.
Sam schlug stattdessen das kleine schwarze Notizbuch auf:
MERWOSER = 0
CALIF AL-HAKIM, 1010
$ 1 000 000!
XERXES, 484 V. CHR.
LANGE HER, ABER DER URSPRUNG
ÖFFNET DEN WEG
v. = o
IZMIT, UM 1400? ISPAHAN, 1386
Immer noch genauso rätselhaft wie vorher . . . Doch dank der Zauberkunst des Internets erfuhr er ein bisschen mehr: Merwoser – dessen Name in verschiedenen Schreibweisen auftrat – war ein Pharao der XV. Dynastie. Al-Hakim hatte um das Jahr 1010 im Nahen Osten regiert, Xerxes war ein persischer Großkönig, der gegen die Griechen gekämpft hatte, Izmit und Ispahan waren zwei Städte, die eine in der Türkei, die andere im Iran. Hieß das, dass sein Vater sich an all diese Orte und in all diese Epochen begeben hatte? Oder dass er plante, dorthin zu reisen? Und welchen Bezug gab es zu dem Schloss von Bran?
Was den Rest der Notiz anging, war das einzig Verständliche die Zahl: eine Million Dollar! Allans Anteil am Verkauf des Nabels der Welt? Oder der Wert eines weiteren archäologischen Schatzes auf seiner Liste? Sam wusste zwar, dass sein Vater Geldsorgen hatte, aber trotzdem!
Er beschloss, seine Erkenntnisse im Computer abzuspeichern, und schob eine Kopie des omphalos in seine Fotodatei. Dabei stieß er auf das Familienalbum, das er vor ein paar Jahren eingescannt hatte. Normalerweise vermied er es, darin herumzublättern. Die Erinnerungen waren einfach zu schmerzhaft. Heute jedoch – besonders da sich der Verdacht gegen seinen Vater zu erhärten schien – konnte er ein bisschen heile Welt gut vertragen, ein paar Erinnerungen an jene wunderbare Zeit, als seine Eltern noch beide um ihn waren, als ihm nichts und niemand etwas anzuhaben können schien . . . Beklommenen Herzens sah er sich die Fotos von dem großen Haus in Bel Air an, von Allan, wie er ihm gerade die Flasche gab, seiner lachenden Mutter auf dem Rummelplatz, den Geschenken unterm Weihnachtsbaum, seinem ersten Fahrrad, ein Gruppenbild, auf dem seine Mutter ihre Arme um ihn gelegt hatte ... Es tat gut, diese Bilder zu sehen, doch es tat auch unendlich weh. Auf dem nächsten Foto baute er zusammen mit Alicia einen Schneemann. Es musste aus der Zeit stammen, als die Todds gerade nebenan eingezogen waren: Alicia und er waren knapp neun Jahre alt. Von da an sah man Alicias Puppengesicht mit den blonden Locken und den großen blauen Augen immer häufiger an Sams Seite. Zwei Jahre lang waren sie so gut wie unzertrennlich gewesen: dieselbe Schule, dieselben Freunde, dieselben Bücher, aus denen sie sich gegenseitig kapitelweise laut vorlasen, dieselben Filme, aus denen sie sich die besten Szenen vorspielten, dieselben Lachanfälle, wenn die Eltern kamen, um nachzusehen, ob sie schon eingeschlafen waren . . . Dann war Elisa Faulkner gestorben und ein schwarzer Schleier hatte sich über alles gelegt. Samuel hatte geglaubt, in ein riesiges schwarzes Loch zu stürzen, einen tiefen Brunnen der Trauer und Bitterkeit, aus dem er nicht wieder auftauchen durfte, wenn er das Band des Kummers, das Einzige, was ihn noch mit seiner Mutter verband, nicht zerreißen wollte. Er hatte niemanden mehr sehen wollen, nicht einmal Alicia. Innerhalb nur weniger Wochen hatte er alles kaputt gemacht.
Seitdem waren drei Jahre vergangen . . . Die Faulkners waren aus Bel Air weggezogen, und obwohl er immer noch sehr oft an sie denken musste, hatte Sam nie den Mut aufgebracht, wieder zu Alicia Kontakt aufzunehmen. Bis er sie vor drei Tagen beim Judowettkampf plötzlich wiedergesehen hatte, am Arm von Jerry Paxton. Dessen Gegenwart und der ganze Trubel in der Sporthalle hatten ihn davon abgehalten, Alicia zu sagen, was er auf dem Herzen hatte: dass sich an seiner Liebe zu ihr nichts geändert hatte und ihm bei ihrem Anblick klar geworden war, dass sich dies auch niemals ändern würde. Ja, es gab vieles, was er Alicia sagen musste . . . Vor allem die Entschuldigungen, die er schon viel zu lange für sich behalten hatte. Und dieses Mal durfte er nicht wieder drei Jahre damit warten.
Samuel sah auf seine Uhr: halb fünf. Ob sie etwas dagegen hatte, wenn er kurz bei ihr vorbeischaute?
VIII.
Alicia Todds
Samuel war eine Ewigkeit nicht mehr in Bel Air gewesen. Als er die ersten weißen Häuser im Kolonialstil mit ihren großen, die Gärten beherrschenden Terrassen vor sich sah, erfasste ihn eine Art Schwindelgefühl: Alles war noch genau wie früher und doch ganz anders! Die Ahornbäume,
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