Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
zeichnete sich eine leichte Besserung ab. Das Fieber ließ nach, und Lili konnte sich im Bett aufsetzen, um ein Marmeladebrot zu essen und eine Schale Milch zu trinken. Sie war immer noch genauso blass wie vorher, und jeder Satz, den sie von sich gab, schien an ihren Kräften zu zehren.
»Ich werde schon durchkommen, Sammy, mach nicht so ein Gesicht! Du musst... du musst auf der Baustelle nach dem Stein sehen.«
Die Baustelle . . . Samuel hatte den Gedanken daran erst einmal beiseite geschoben, um seine Cousine nicht allein zu lassen, aber auch weil er Angst hatte vor dem, was er dort vorfinden würde. Aber sie hatte recht, er durfte nicht länger warten. Am frühen Nachmittag ließ er Lili in Kettys Obhut zurück, nahm all seinen Mut zusammen und folgte dem Cicero Boulevard hinauf ins schwarze Viertel. Er machte einen kurzen Abstecher zum Haus von Granny Lucy, um sich für ihre Hilfe zu bedanken und zu berichten, wie es mit ihnen weitergegangen war. Doch die alte Dame war nicht da – alles war abgeschlossen -, und er hatte keinen Vorwand mehr, um den Besuch bei der Baustelle noch länger hinauszuzögern.
Es sah schlimmer aus, als er befürchtet hatte ... In den vergangenen zwei Tagen hatten die Bauarbeiter dort, wo das Haus gestanden hatte, eine Betonsohle gegossen. Wahrscheinlich eine Art Parkplatz für die zukünftigen Bewohner des neuen Apartmentkomplexes ... Samuel starrte einen Augenblick lang wie hypnotisiert durch den Bretterzaun und hoffte auf ein Wunder. Darauf, dass sich die Erde auftun, der Sonnenstein wie eine Rakete aus der Erde emporschießen und direkt neben ihm sanft zur Landung ansetzen würde. Aber das Einzige, was hier durch die Luft flog, waren der von den Baggern haufenweise aufgewirbelte Staub und die lauten Zurufe der Vorarbeiter. Ohne sich große Hoffnungen zu machen, riskierte Sam einen schnellen Blick durch die Baustelleneinfahrt, wurde jedoch sofort von einem der Arbeiter angebrüllt: »He, du da! Kleiner Gelber! Hau ab, du hast hier nichts zu suchen!«
Sam wollte gerade auf dem Absatz kehrtmachen, als sein Blick auf einen kleinen Lieferwagen fiel, der ein Stück weiter auf der Straße zwischen zwei Baufahrzeugen parkte. Auf der glänzend schwarzen Karosserie prankte in Weiß: »Das Sammler-Paradies, Antiquitäten, 63. Straße Ost/Cottage Grove, Chicago«. Darunter das Firmenzeichen: ein Paar ägyptisch aussehende geschwungene Hörner, die in der Mitte eine Sonnenscheibe umschlossen . . .
»Unglaublich!«, murmelte Sam.
Neugierig ging er um den Lieferwagen herum. Der hintere Teil des Kastenwagens war verblendet, und durch das Fenster des Führerhäuschens konnte man nichts Besonderes erkennen. Er drückte versuchsweise auf den Türgriff: abgeschlossen.
»He, sag mal, Gelber! Was hast du vor? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst abhauen?«
Der Arbeiter von vorhin.
»Oh, ist wohl doch nicht mein Wagen! Jetzt verstehe ich auch, weshalb mein Schlüssel nicht passt!«
»Na warte, ich werde dich gleich passend machen!«
Der Maurer kam in Riesensätzen auf ihn zu. Offenbar hatte er nicht den gleichen Sinn für Humor . . . Sam verzichtete auf einen weiteren Witz und nahm die Beine in die Hand. Er sprintete bis zu einem etwas belebteren Viertel, wo er seinen Verfolger abschütteln konnte.
Während er langsam wieder zu Atem kam, dachte er über die plötzliche Anhäufung dieser seltsamen U nach: der Einbrecher im Museum von Saint Mary, die Höhle des Muttersteins, das Schwimmbad von Pompeji und jetzt dieses Antiquitätengeschäft in Chicago. Ein Vorläufer von Arkeos? Die Antwort wartete vielleicht an der Kreuzung 63. Straße/Cottage Grove auf ihn . . .
Samuel fragte einen Passanten nach dem Weg und benutzte ein paar von den Münzen, die ihm James Adam gegeben hatte, um ein Stück mit der Straßenbahn zu fahren. Nach einer etwa halbstündigen Fahrt, inklusive zweimaligem Umsteigen, stand er schließlich vor dem Tivoli-Theater in einer belebten Geschäftsstraße mit zahlreichen Restaurants, auf der die Autos in Zweierreihen parkten und die Menschen kreuz und quer über die Straße liefen. Das »Sammler-Paradies« befand sich direkt neben einem großen Hotel. Das Schaufenster quoll über vor lauter Nippes: Wanduhren, viele goldene Armbanduhren und kleine griechische und römische Statuen, wie auf den Etiketten zu lesen war. Das Firmenzeichen nahm die Mitte des Schaufensters ein. Es war weniger nüchtern gezeichnet als das von Arkeos, mit Schnörkeln an den Enden und einer dezenten
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