Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
Zeitspagat auf, in den man ihn gezwungen hatte? Wenn dem so war, gab es tatsächlich kein Heilmittel. Was wäre, wenn Lili sterben würde? . . . Samuel wagte gar nicht daran zu denken. Schließlich hatte er sie in die ganze Geschichte mit hineingezogen, und sie hatte ihn, ungeachtet der Aussichtslosigkeit der Sache, von Anfang an unterstützt. Sie war es gewesen, die die Bibliothek nach Informationen über Dracula durchforstet hatte. Ihr war es gelungen, den lateinischen Text aus dem Buch des Alchemisten von Brügge zu übersetzen. Und sie war auf diese Zeitreise geraten, weil sie ihn vor der Polizei hatte warnen wollen. Ganz zu schweigen von ihrem genialen Einfall, der sie vor dem Clan von Totenauge gerettet hatte ... Was wäre ohne sie aus ihm geworden? Und wenn er sie jetzt verlieren sollte, nachdem er schon seinen Vater und seine Mutter verloren hatte ... Nein, an so etwas durfte er gar nicht erst denken.
Glücklicherweise erwiesen sich die Urgroßeltern Faulkner als unglaublich nett. Besonders Ketty. Als sie von dem Überfall erfahren hatte und welche Rolle den Kindern dabei zugekommen war, hatte sie sofort vorgeschlagen, sie bei sich aufzunehmen. Und sie hatte auch darauf bestanden, den Arzt zu rufen. Es vergingen keine zwei Stunden, ohne dass sie kam und ein Glas Orangensaft brachte, kleine Leckereien, eine Illustrierte oder auch nur ein paar tröstende Worte auf den Lippen hatte. Im Gegensatz zu den Fotografien, auf denen sie sehr streng und distanziert wirkte, erwies sich Ketty als wahre Glucke, die sie liebevoll bemutterte. Außerdem waren ihre Hamburger mit gerösteten Zwiebeln Weltklasse!
James Adam Faulkner hingegen war nur schwer zu erfassen. Nach dem Zwischenspiel mit der Mafia hatte er sich eine schwarze Browning und dazu zwei Schachteln Munition zugelegt und in der Schublade unter der Registrierkasse deponiert. Von Zeit zu Zeit, wenn niemand im Laden war, holte er sie hervor und zielte zum Spaß auf eine Flasche Öl oder ein Glas mit eingelegten Früchten. Trotz der inständigen Bitten seiner Frau hatte er darauf verzichtet, den Vorfall im Rathaus oder bei der Polizei zu melden, angeblich, um keine weiteren Repressalien zu provozieren. Sam hatte jedoch den Verdacht, dass er darauf wartete, dass die Banditen zurückkamen, um Selbstjustiz zu üben.
Er hatte noch andere seltsame Angewohnheiten. Wenn sich Ketty allein um das Geschäft kümmerte, kam es vor, dass er ohne eine Wort im Keller verschwand. Neugierig -hatte es vielleicht mit dem Sonnenstein zu tun? – war Samuel ihm beim dritten Mal heimlich gefolgt und hatte eine kleine Überraschung erlebt: Sein Urgroßvater schlich sich heimlich durch das Kellerfenster davon. Er hatte auch das Gitter geölt, sodass es sich geräuschlos öffnen ließ. Wenn er dann eine halbe Stunde später zurückkehrte, umwehte ihn ein leichter Geruch nach Alkohol. Natürlich tat Samuel so, als würde er nichts merken. Vielleicht erklärte das Kettys melancholischen Ausdruck auf den Familienfotos?
Und dann war da natürlich noch Grandpa. Oder besser gesagt, Donovan. Daran konnte Samuel sich überhaupt nicht gewöhnen . . . Man rechnet ja auch im Leben nicht damit, mit seinem sechseinhalbjährigen Großvater Fangen zu spielen! Donovan war ein lieber, sehr umgänglicher Junge, der sich am liebsten draußen im Hof mit seinem Holzzug beschäftigte und aus alten Kisten und leeren Flaschen immer neue Brücken und Tunnel konstruierte.
»Tschuu, tschuu! Alles einsteigen! Alles einsteigen! Der Zug fährt ab! Samuel, willst du den Kontrolleur spielen?«
Samuel sah ihn mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Zärtlichkeit an. Am liebsten hätte er Donovan auf die Knie genommen und ihm Teile seines Abenteuers ins Ohr geflüstert. Doch er wusste nur zu gut, dass jede Unvorsichtigkeit in der Vergangenheit möglicherweise die Zukunft veränderte. Und zu Grandpas Zukunft gehörte er schließlich auch selbst... Also schwieg Sam und folgte nur dem Zug, der sich zwischen Konservendosen hindurchschlängelte:
»Tschuu! Tschuu! Achtung, Tunnel!«
Donovan war auch an Lili sehr interessiert. Wenn er auch nicht zu ihr ins Zimmer durfte – wegen der möglichen Ansteckungsgefahr-, so pflückte er doch von morgens bis abends Blumen für sie und schickte ihr selbst gemalte Bilder.
»Gibst du das Lili?«, fragte er und drückte Sam ein Bild von einer großen bunten Sonne in die Hand. »Glaubst du, sie wird wieder gesund? Können wir dann zusammen Eisenbahn spielen?«
Am dritten Tag
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