Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
nicht ganz geschlagen geben:
»Und was ist mit der Polizei? Und mit Evelyn? Was willst du denen sagen?«
Lili hob den Finger wie im Schulunterricht.
»Ich habe da eine Idee.«
Alle sahen sie gespannt an.
»Ich bin ausgerissen . . .«
»Du bist was?«
»Ja, ausgerissen! Das Hauptproblem ist doch, dass meine Mutter und die Polizei glauben, unser Verschwinden hätte etwas miteinander zu tun. Und dass alles Sammys Schuld sei. Wir müssen versuchen, die beiden Angelegenheiten zu trennen. Also ich, ich bin ausgerissen.«
»Kannst du uns das ein bisschen genauer erklären ?«, fragte Grandpa bedächtig.
»Nehmen wir mal an, ich sei total in Nelson, Jennifers Bruder, verknallt und hätte ihm unbedingt in sein Ferienlager nachreisen wollen. Auf halber Strecke ist mir dann klar geworden, dass ich gerade dabei war, eine große Dummheit zu begehen, und ich habe kehrtgemacht. Mit meinem verkommenen Cousin hat das also alles nichts zu tun!«
»Ausreißen, du?«, fragte Grandma und zog zweifelnd die Augenbrauen hoch.
»Ich bin zwölf, in dem Alter macht man so was«, versicherte Lili. »Abgesehen davon würde mich ein bisschen Theaterspielen ablenken.«
»Und Sammy? Was wird aus ihm in der ganzen Geschichte?«
»Sammy? Der versteckt sich. So lange, bis er seine Nachforschungen angestellt hat und sich auf die Spur seines Vaters gemacht hat. Später, wenn er ihn dann wieder nach Hause zurückgebracht hat, sind all diese Geschichten sowieso unwichtig.«
»Aber wo soll er sich verstecken?«, wollte Grandpa wissen. »Hier wird Evelyn bald wieder sein, und in der Buchhandlung kann jeden Augenblick die Polizei aufkreuzen, besonders nach dem Einbruch gestern Abend . . .«
Jetzt hob Samuel den Finger:
»Ah . . . ich glaube, ich habe auch eine Idee.«
XIX.
Hausaufgaben in den Ferien
War das wirklich eine so gute Idee gewesen? Samuel betrachtete die Wände des Zimmers, die über und über mit Postern der obskuren Gruppe Blonde Satane bepflastert waren: einer Hardrockgruppe mit Gothic-Einschlag, die eine groteske Mischung aus Ledermänteln und Rüschenhemden anhatte und übertrieben geschminkte Augen in engelhaften, viel zu jungen Gesichtern zur Schau trug, von Bengeln, die gerade soeben ihre Schulzeit hinter sich hatten. Sam setzte seine Tasche auf dem Bett ab, das eine Tagesdecke mit Totenkopf zierte, und gab sich Mühe, beglückt auszusehen.
»Hübsch, nicht?«, seufzte Helen Todds. »Rick hat ein Faible für dieses morbide Zeug. Ich weiß auch nicht, woher das kommt!«
»Das legt sich schon wieder«, versicherte Sam. »Einige meiner Freunde waren genauso.«
»Na, dann bist du ja an so was gewöhnt. Fühl dich nur wie zu Hause. Rick ist für drei Wochen bei seiner Großmutter, er wird dich also nicht stören.«
Sam wünschte Granny Todds im Stillen viel Erfolg dabei, den Sommer mit den Rhythmen der Blonden Satane zu verbringen.
»Also dann, mach es dir bequem. Alicia wird nicht vor dem späten Nachmittag zurück sein, aber wenn du etwas brauchst: Ich bin unten. Wir essen gegen acht.«
Samuel dankte ihr und umarmte sie kurz. Helena hatte ihn mit offenen Armen aufgenommen, als sie gehört hatte, dass Alan Faulkner seit mehr als zwei Wochen »abwesend« war und Sams Verhältnis zu seiner Tante unter einem schlechten Stern stand. Sie machte sich zudem immer noch Vorwürfe, weil sie sich nach dem Tod seiner Mutter, wie sie fand, nicht genug um ihn gekümmert hatte, und meinte, einiges nachholen zu müssen. Blieb abzuwarten, wie Alicia darüber dachte . . .
Samuel schob den Krempel auf Ricks Schreibtisch beiseite – seltsam, wie störend die Unordnung anderer sein konnte – und packte einen Stapel Bücher aus, den er aus der Bibliothek ausgeliehen hatte: die Geschichte Rumäniens, Kartenmaterial über das entsprechende Gebiet, eine Biografie von Dracula und so weiter. Sein Plan war ganz einfach: sich ein oder zwei Tage vor all jenen verstecken, die es auf ihn abgesehen hatten, und möglichst viele Informationen über Vlad Tepes zusammentragen. Hieß es nicht immer, um seinen Feind zu besiegen, müsse man ihn zunächst einmal kennenlernen? Je klarer sein Bild von der Person wäre, desto besser könnte er sich seine Gewohnheiten und sein Leben auf dem Schloss vorstellen und desto leichter würde es werden, seinen Vater zu befreien.
Nachdem er den Stapel mit Gothic-Magazinen beiseite geräumt hatte, nahm Sam Stift und Papier und machte sich an die Arbeit.
Was konnte man zusammenfassend über Vlad Tepes sagen?
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