Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
hatte ihm freundlich zugenickt. Das sah nicht danach aus, als würde man ihn in Schimpf und Schande davonjagen.
Oder?
Keine Kunde war zu ihm gedrungen, auch Kilian hatte nichts zu vermelden gewusst. Und jetzt, da er auf die Rundbogenportale des östlichen Gebäudeteils zuhielt, drückten Stein, Simse und Strebepfeiler gewaltig auf sein Gemüt, die Schritte schienen ihm die schwersten seines Lebens.
Wieder grüßte ihn sein Nachbar, Kanzleiknecht Conradt Hofman, mit Namen, als er die Tür öffnete. Er schloss sie, deutete mit dem Kinn auf Philipps Verband und fügte an: „Üble Sache.“
Philipp machte eine zustimmende Geste und ging weiter. Er kannte diese Mauern. Er kannte den Geruch. Er kannte jede Feder und jeden Tintenklecks in diesem Haus. Er schluckte.
Er spürte Hedwigs Hand auf dem Arm und merkte, dass er am Fuß der Treppe stehen geblieben war. Kanzleibote Wolstetter, soeben auch eingelassen, kam heran und sagte, während er die erste Stufe nahm: „Nur zu, Eichhorn, heute gilt es!“
Kein Wort über seinen Zustand, keine Frage, wie es ihm denn ginge.
Philipp sah Hedwig an, die ihn aufmunternd anlächelte. Nah trat sie an ihn heran. „Liebster!“, beschwor sie ihn. „Was auch immer sie sagen, was auch immer sie klagen: Ich bin bei dir, und ich habe …“, sie drehte sich zu Ryss herum, der in zwei Schritt Entfernung darauf wartete, dass sie weitergingen,
„wir
haben Aufschluss gegeben und zur Klärung beigetragen.“ Wieder sah sie sich erst zu Ryss um, ehe sie den Druck ihrer Hand verstärkte und ihm eindringlich zuraunte: „Alles wird gut, du wirst es sehen!“
Ryss trat neben ihn auf die Stufen und setzte zum Überholen an. Philipp sah, dass er bei Hedwigs eben gesagten Worten schmunzelte. Herrgott, was gab es da zu grinsen! Er überlegte, ob er wohl etwas von Hedwigs Berichten vergessen hatte. Was sie und Ryss am vergangenen Montag beim Hofgericht zu Protokoll gegeben hatten, hatte sie ihm natürlich erzählt. Auch, was sein Stief- und Schwiegervater und was Wittib Ringeler ausgesagt hatten. Alle Zeugnisse, die Hedwig an diesem Tag mit angehört hatte, hatte sie ihm wiedergegeben. Aussagen von jenen Leuten, die in Leben und Kanzlei mit ihm zu tun hatten. Kein schlechtes Wort sei da gefallen, sagte Hedwig. Außer das Gegeifer Nickels. Hatte sie ihm etwas verschwiegen? Herrgott, wenn nur alles schon vorbei wäre! Es grauste ihn, da jetzt rein zu müssen, noch zwei Stufen, eine. Ja, vermaledeit, er war angespannt!
Er betrat den langen Vorraum im oberen Stockwerk, die Lichter an den Decken waren angezündet. Türen, hinter denen Arbeitsräume lagen, vor ihnen die geöffnete Doppeltür der Hofgerichtsstube. Ryss passierte sie als Erster, Philipp, Hedwig neben sich, folgte ihm.
Amtsknechte standen zu beiden Seiten des Eingangs. Vom Ratstisch leuchtete Hofgerichtssekretär Abels’ hellrotes Haar. Und wie schon beim letzten Mal, da man ihn in dieser Stube verhört hatte, saß auch bereits dessen Adjunctus Arbogast vor seinen Papieren. Philipp hatte kaum Gelegenheit zu sehen, wer auf den Stühlen Platz genommen hatte, denn ein Mann kam auf ihn zu. Mit seinem spitzen schwarzen Kinnbart und dem schwarzen Oberlippenbart sowie den eng zusammenstehenden, stechend blickenden Augen war er eine auffällige Erscheinung, die Philipp schon des Öfteren gesehen zu haben meinte. Der schwarze Talar mit dem großen weißen Kragen und das hohe geschwungene Barett mit Quaste verstärkten das bedeutungsvolle Aussehen. Mit einer kaum wahrnehmbaren Neigung des Kopfes deutete er einen Gruß an und stellte sich vor: „Heinrich Eckel, notarius publicus. Prokurator. Euer Verteidiger.“
Philipp grüßte.
„Macht Eure Aussage. Ich werde, wie es das Recht vorsieht, allen Fleiß darauf verwenden, Eure Geschichte, daraus die Aktion und Forderung entspringt, klar, lauter und gründlich fürzubringen und anzuzeigen.“
Philipp nickte.
„Eichhorn“, hörte er Sekretarius Dürr hinter sich näseln. Philipp drehte sich um. Der Sekretär war wohl nicht willens, sich an den vier Menschen im Durchgang vorbeizuschieben und erwartete, dass man zur Seite trat, um ihm Platz zu machen. Er lächelte herablassend. Eckel neigte kurz das Haupt und verfügte sich hinüber zum Tisch. Philipp trat zur Seite, Ryss desgleichen, und Dürr stolzierte in den Raum. Meine Güte, das großsprecherische Gebaren des Secretarius hatte er wahrlich nicht vermisst! Hedwig folgte Ryss, der auf die erste Stuhlreihe zuhielt, Philipp kam nach. Er sah
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