Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
einer Woche nicht nur höchstselbst gegenwärtig gewesen, sondern darüber hinaus erhellende Berichte über den eigentlichen Hergang ihres Verschwindens kundgetan habe, sei die ganze Geschichte nun in einem anderen Licht zu sehen. Es stelle sich zwar noch immer die Frage nach einer Schuld benannten Knechts, doch müsse sie im Zusammenhang mit dem neuen Sachverhalt beleuchtet werden. Weshalb man es für nötig befunden habe, den Fall in Anbetracht der Dringlichkeit und Schwere schon eine Woche später, nämlich heute, wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Es drehe sich um das Herausgeben eines wichtigen Dokuments aus der kurfürstlichen Kanzlei, das indes inzwischen dank besagtem Weib wieder an Ort und Stelle sei. Man sei daran, die Sache aufzudecken. Weshalb man es für nötig erachtet habe, das Weib Eichhorn sowie den Engländer Ryss Williams, der in die Angelegenheit hineingeraten war und dessen Aussagen bereits vergangenen Montag zu Protokoll genommen worden waren, heute erneut zu laden und gegebenenfalls noch einmal zu hören. Da es in dieser Angelegenheit nicht um zwei strittige Parteien ginge, so sei es auch nicht in Erwägung zu ziehen, einen Vergleich zustande zu bringen. Weshalb der Prozess also nun mit den ersten Verhören beginnen könne, wobei noch anzumerken sei, dass der Gang des Verfahrens auf maximal neun Termine verteilt würde, wobei der nächste Termin in sechs Wochen sei.
Der Hofrichter bedankte sich bei Weber und erinnerte daran, dass es sich um ein öffentliches Verhör handle. Er gemahnte alle, die gebotene Zucht und Ordnung einzuhalten. Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als die Tür aufgestoßen wurde. Herein schritt, umhüllt vom blaugelben Farbgemenge seiner Wachen und Trabanten, Kurfürst Friedrich IV. höchstselbst!
Nicht nur am Ratstisch sprang man geschlossen auf, auch alle Anwesenden erhoben sich, um sich vor ihrem Fürsten zu verneigen.
Philipps Herz schlug schneller. Damit hatte er nicht gerechnet. Niemand hatte damit gerechnet, das zeigte ihm ein rascher Blick auf den Hofrichter. Obwohl seit alters her bei wichtigen Sitzungen Anwesenheit und Vorsitz des Fürsten zugesagt waren, war das bisher nie vorgekommen. Sein Erscheinen war höchst außergewöhnlich. Friedrich mischte sich so gut wie nie in Sachen des Hofgerichts, er hielt sich fern, damit die Neutralität gewahrt blieb. Bedachte man zudem, dass Friedrich selbst an den Sitzungen des Oberrats kaum teilnahm, was indes seine Pflicht gewesen wäre, so war sein Auftauchen umso aufsehenerregender. Er schritt zum Ratstisch, sein schwarzer Überwurf, mit goldgelben Borten besetzt und mit goldglänzenden Knöpfen versehen, wehte hinter ihm her. Mit dem Rücken zum Tisch fasste er die Anwesenden ins Auge, während Oberrat Georg Ludwig von Hutten, der ihn wie meist begleitete, verkündete, seine Gnaden gedenke, in einer so wichtigen Pfälzer Angelegenheit den Vorsitz des Hofgerichts zu übernehmen.
Philipp betrachtete seinen jungen Fürsten, wie er dastand in dem blau-weiß-gelb gehaltenen Rock mit hohem Kragen und schwitzte. Das mittelblonde Haar, eng um den Kopf herum geschnitten, klebte ihm in Kringeln an der hohen Stirn. Die große gebogene Nase schillerte feucht. Und auf der glatt rasierten, rötlichen Haut zeigten sich Schweißperlen.
Der überraschte Hofrichter von Colli gab den Vorsitz ab und verfügte sich auf den Stuhl neben dem seinen. Friedrich ließ sich nieder. Von Hutten setzte sich rechts neben den Kurfürsten. Das hatte eilfertig-raschelndes Aufrücken am Tisch zur Folge mit dem Ergebnis, dass Kanzleibote Wolstetter hurtig nach neuen Stühlen für Hofgerichtssekretär Abels und Adjunktus Arbogast rannte. Als die schließlich beigeschafft waren – derzeit hatte der Hofrichter seinem Fürsten die Papiere erläutert, die vor ihm lagen –, konnte die Hofgerichtssitzung endlich weitergehen.
Friedrich las nickend. Im Raum war es still.
Friedrich sah auf und Philipp in die Augen. Da wusste Philipp, dass sein Fürst ihn kannte. Dass er wusste, wer ihm schon öfters die Türen der Kanzlei aufgehalten oder ihm von dort mit Trabanten und anderen Dienern zusammen das Geleit zum Schießplatz oder zum Herrengarten gegeben hatte. Dass er mit dem Namen, auf den er einst ein Empfehlungsschreiben unterzeichnet hatte, ein Gesicht, eine Person verband.
„Es gilt, die Höhe der Schuld zu ermessen, die sich Unser Knecht Philipp Eichhorn aufgeladen hat, indem er Unser wertvolles Eigentum aus der Kanzlei herausgab. Tretet vor, Philipp
Weitere Kostenlose Bücher