Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Zelte in ordentlichen Reihen nahmen gut ein Drittel des geräumigen Hofgevierts ein. Man hatte schmalste Gassen zwischen ihnen gelassen, Stroh ausgestreut. Fässer und Holzkisten standen zwischen Schneehaufen, hier und da Holzgestelle, an denen Schwerter in Halterungen staken. Auf einem dicken Pfosten thronte ein Falke, vor einem Zelt färbte verschütteter Wein Stroh und Matsch rot. Bunte Wimpel wehten im Winterwind, Rauch kräuselte sich aus kleinen Feuern in Eisenpfannen gen Himmel, der Geruch mischte sich mit dem nach Pferden und Pferdemist, nach Leder und gebratenem Fleisch. Philipp wich zwei schwarzen Doggen aus, die sich im Spiel umkreisten, dass der Matsch aufspritzte, und hielt auf die Mitte des Innenhofes zu. An dessen östlichem Ende erkannte er zwischen Menschen und Zelten hinten bei der dicken Befestigungsmauer, die auf der anderen Seite den Turnierplatz am Graben begrenzte, Gäule in eigens dafür gezimmerten Stellplätzen. Er wusste, dass im kurfürstlichen Marstall gut einhundert Pferde Platz fanden. Dreihundert seien schon da, hatte Kilian gesagt. Und es sollten noch mehr kommen. Schon jetzt war das eine beachtliche Ansammlung. Philipp blieb inmitten des Hofes stehen. Um ihn her ein Gerufe und Gesumm aus unzähligen Kehlen. Er sah hinüber zu dem aus Buckelquadern erbauten Zeughaus. Es lag links von ihm, zum Neckar hin, und von dessen beiden Wehrtürmen am Fluss konnte er von seinem Standort aus lediglich die obersten Spitzen der Turmhelme sehen. Strebepfeiler stützten das Gebäude, in dem Versorgungsgüter und Ausrüstungen lagerten, mittig ragte ein Treppenhaus in den Hof, zwei Zeugwärter kamen herunter und riefen einem Knecht, der Schnee von den Stufen fegte, eine Anweisung zu. Rechts von ihm erhob sich der zweigeschossige neue Bau des Marstalls. Wahrlich, ein bewundernswertes Gebäude. Dreistöckige Spitzengiebel, zwei schlanke Treppentürme mit zwiebelartigen Hauben, kunstvoll gearbeitete Säulen an der – sicherlich fünfzig Ruten breiten – Vorderseite, eine doppelläufige, steinerne Freitreppe in deren Mitte, unter der sich der Eingang zu den Stallungen befand. Eine Weile stand Philipp nur da und staunte, roch Stein, Rauch und Leder, hörte Gelächter und von irgendwoher gar das Quäken einer Sackpfeife. Er vergaß, was ihm Sorgen bereitete. Doch von einem Augenblick zum nächsten fühlte er sich inmitten all diesen Gewühls allein und elend. Ihm wurde mit einem Mal beklemmend zumut, und er spürte sein Herz heftig gegen die Rippen schlagen. Eine so jähe Angst griff nach ihm, dass alles vor seinen Augen zu verschwimmen drohte. Das Blut pulste ihm in den Ohren, seine Hände waren eiskalt, er wollte gleichzeitig weglaufen und zu Boden sinken. Niemals zuvor hatte er ein solches Gefühl erlebt, etwas kehrte ihn von unten nach oben, er schnaufte tief durch, hatte plötzlich die Stimme des Scheißkerls im Ohr, die „Atme!“ zischte. Er wankte und musste sich irgendwo anlehnen! Er sah ein Fass, hielt darauf zu, doch dünkten ihn seine Beine schwer wie Blei. Das Fass war ein aufgerissenes Maul, schwarz wie die dunkelste Nacht. Gleich würde er stürzen, Herr im Himmel, was war ihm nur? Zwei Schritte noch, dann erreichte er das Fass und lehnte sich dagegen, neigte den Kopf, um niemanden ansehen zu müssen, legte den Arm um die Leibesmitte, suchte ruhig zu atmen, um das Herzrasen zu beruhigen. Dennoch fühlte er sich, als müsse er schreiend durch die Reihen rennen, alsdann erschöpft im Matsch zusammenbrechen.
Es ist gut, Philipp Eichhorn, es ist gut, sprach er sich zu und gewahrte, wie sein Atem sich langsam beruhigte. Ein Knappe kam heran und fragte ihn, ob alles in Ordnung sei. Er nickte, hob besänftigend den Arm, sah auf. Die braunen Augen des Jungen erinnerten ihn an Kilians braune Augen. Da wusste er, warum er hergekommen war. Er brauchte Trost. Er brauchte die Nähe eines Freundes. Er versuchte ein freundliches Lächeln und stieß sich vom Fass ab. Er spürte den verwunderten Blick des Knappen im Rücken, als er auf den Eingang zu den Stallungen zuhielt.
Als er in das warme Innere eintauchte, wo der Geruch nach Pferd, Leder und Stroh naturgemäß am eindringlichsten war, merkte er, dass ihm bang davor war, Kilian möglicherweise erneut belügen zu müssen. Aber er hoffte, dies würde sich in Grenzen halten. Er hoffte, Kilian, begeistert von dem Umtrieb, der sich im Marstall darbot, würde ihm seine Wortkargheit nachsehen und selbst das Reden übernehmen.
Er fand seinen Freund am
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