Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
sie zu und hob in einer verständnislosen Geste beide Arme. „Gott zum Gruße, ’err Groß’ans, auch Euch, ’ausfrau Groß’ans“, rief er und bat sie mit einer Handbewegung nach nebenan in den zweiten Raum, damit sie ungestörter reden konnten. Hier befand sich augenscheinlich das Lager für die Tuch- und Wollsorten des Belierschen Handelsgeschäftes. „Wir sind verwundert, Euch zu sehen. Auch wenn wir natürlich froh sind, dass Ihr wohl seid.“ Die letzten Worte hatte der Wallone an Gundel gerichtet, die ihm, Matthias, einen raschen Blick zuwarf, ehe sie zu Herrn Belier sagte: „Ehrsamer Herr Belier, mir geht es gut. Wir wollten Hedwig überraschen und unsere kleine Enkeltochter zur Entlastung der Köchin zu uns nehmen. Doch nun sind alle so sonderbar.“ Hilfe suchend wandte sie sich zu ihm um. „Wo ist unsere Tochter, ehrsamer Herr Belier?“, übernahm Matthias das Wort.
Der Hausherr schüttelte sacht den Kopf, die Halskrause aus weicher Spitze rührte sich. Er fasste mit beiden Händen in die Aufschläge seines pelzgefütterten Hausmantels und blickte ebenso verdutzt wie Appel zuvor. „Aber sie ist doch nach Reilingen gereist, um Euch, ’ausfrau Groß’ans, beizustehen. Wir machten uns Sorgen um Euch.“
„Aber es geht mir gut!“, rief Gundel, und es klang schrill.
„Bitte erklärt uns, was vorfiel“, bat Matthias und sah dem Brotherrn seiner Tochter in die Augen. „Wie Ihr seht, ist mein Weib wohlauf.“
„Nun, gestern Morgen ließ ’edwigs Ehemann ausrichten, sein Weib sei zu seiner kranken Mutter nach Reilingen aufgebrochen. Ich ’abe ihn nicht gesprochen, er traf Appel am Tor und bat sie, es mir zu sagen.“ Herr Belier räusperte sich. „Wir sorgten uns, denn wenn man die Tochter nach ’ause ruft, ’at das einen zwingenden Grund. Wir befürchteten das Schlimmste.“
Gundels Kopf ruckte zu ihm herum, vor Bestürzung waren ihre Augen riesengroß. „Aber wir haben Hedwig nicht rufen lassen. Wie kommt Philipp dazu, so etwas zu sagen?“, rief sie und sah wieder zu Herrn Belier. Der zuckte die Schultern. „Das solltet Ihr ihn fragen, denke ich.“
„Das werden wir, Herr Belier, verlasst Euch darauf!“, presste Matthias hervor. Er hatte plötzlich das Gefühl, der Boden schwanke unter seinen Füßen. Was hatten seine Tochter und sein Schwiegersohn ausgeheckt? Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden: Philipp in der Kanzlei aufzusuchen und ihn zu fragen.
„Verzeiht die Störung, ehrsamer Herr Belier. Und verzeiht den Arbeitsausfall. Wir werden Euch wissen lassen, was wir in Erfahrung bringen. Habt Dank einstweilen.“
Achtzehn
Etwas stach ihr in den Rücken. Und kalt bis aufs Mark war ihr. Schlafverworren öffnete sie die Augen, sah den schwarzhaarigen jungen Mann neben sich, der ihr den Kopf zudrehte, als sie sich rührte. Schlagartig begriff Hedwig, wo sie war, was vorgefallen war. Ihr Blick zuckte zu Juli. Reglos lag sie im Tragetuch. Eine jähe Angst fasste nach ihrem Herzen. Schlief ihr Kind? Juli hatte nicht einmal nach der Brust verlangt. War alles in Ordnung mit ihr? Sie neigte den Kopf hinunter. Vorsichtig, um Juli mit ihren kalten Fingern nicht zu erschrecken, strich sie das Wolltuch etwas zur Seite, um sie anzuschauen.
„Sie schläft, oder?“, sagte der Mann neben ihr.
Hedwig hörte seinen zweiflerischen Ton und sah auf. Zum ersten Mal sah sie ihn im Hellen, sie gewahrte, dass seine Haare strähnig waren und sein Umhang speckig. Seine Augen erinnerten sie an das schwarzbraune Gefieder eines Habichts, es mochte an seinem Blick liegen, der das Wachsame eines Raubvogels hatte. Man könnte ihn hübsch nennen, dachte sie, die fein geschwungenen Lippen, die gerade Nase, die vor Kälte gerötet war. Lediglich die großen Nasenflügel gefielen ihr nicht.
„Wahrscheinlich ist sie vor Erschöpfung in tiefen Schlaf gefallen. Ich kann kaum glauben, dass ich selbst ebenfalls schlief“, antwortete sie. Die schräg stehende Wurzel drückte sie nun in der Seite, sie wich ihr aus und spürte dumpf den Schmerz im Knöchel. Der Fremde sagte: „Man weiß nie. Nachts die Hexen saugen die Luft heraus aus den schlafenden Kindern.“
Der Schreck fuhr ihr in alle Glieder. „Was?“ Ihr Blick zuckte von dem Mann zu ihrer Tochter und wieder zurück zu ihm. Die Art, wie er schaute und dann den Blick abwandte, sagte ihr deutlich, dass er nicht sicher gewesen war, ob Juli schlief oder tatsächlich von Hexen geholt worden war. Jäh durchzuckte sie das Gefühl der
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