Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
viel Geld gespart habe, dass sie heiraten konnten, war er nicht nur aus allen Wolken gefallen, sondern er war sich auch dümmer als der dümmste Mensch auf Erden vorgekommen. Denn ihm war bewusst geworden, dass die beiden ihre Treffen trotz seines Verbotes fortgesetzt hatten – wie auch immer sie das angestellt haben mochten. War es falsch gewesen, ihrem Vermählungsbegehren nachzugeben? Er hatte sie geprüft, mehr konnte er nicht tun. Die zwei hatten einfach nicht voneinander lassen wollen. War ihnen dies nun zum Verhängnis geworden? War die Leidenschaft erloschen, taugte sie nicht für alle Tage, wie er einst befürchtet hatte? War sie in zermürbende Streits gemündet, nun, da auch noch ein Kind da war, das beständig plärrte? Matthias merkte, dass er vor Anspannung die Luft angehalten hatte. Er atmete geräuschvoll aus, sagte noch einmal Philipps Namen, rüttelte ihn an der Schulter.
Philipp sah ihn an mit dem Blick eines gehetzten Tieres. Und er las noch etwas in dessen Augen. Eine Enge, in der Philipp sich wand, als sei er darin eingeschnürt wie ein Säugling in seine Windeln. „Was ist geschehen, Philipp?“, fragte er deshalb in einem fürsorglicheren Ton, obwohl ihm das Herz in der Brust schlug vor Aufregung und Anspannung.
„Philipp, so rede doch!“, rief Gundel unglücklich.
„Ich muss wieder hinein.“
Matthias folgte Philipps Blick und sah über seine Schultern. Kanzleiverwandte hielten auf das Gebäude zu, Grüppchen schwarzbeschaubter Männer mit frostig roten Gesichtern. Man sah zu ihnen her, an den Gesichtsausdrücken sowie dem ein oder anderen Zunicken erkannte Matthias, dass man Philipp in Ausübung seiner Pflichten wähnte. Matthias drehte den Kopf und sah wieder Philipp an. „Junge, natürlich musst du das. Doch sage uns vorher, was geschah.“ Er sprach absichtlich behutsam, versuchte es väterlich, denn immer deutlicher erkannte er, dass Philipp außer sich war. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen, die rot waren und zitterten. Er starrte an ihnen vorbei und durch sie hindurch, er fuhr sich durch den blonden Schopf, und Matthias dünkte, er kämpfe gar mit den Tränen.
„Lasst uns heute Abend reden. Nach Dienstschluss“, schlug er schließlich gepresst vor und blickte dabei weidwund von ihm zu Gundel und wieder zu ihm.
„Herr Belier ließ uns wissen, du habest gesagt, wir hätten Hedwig rufen lassen, weil ich krank sei. Wie kommst du dazu, so etwas zu sagen, ich bin nicht krank!“, fuhr Gundel ihn zornig an.
„Ihr hattet Streit, nicht wahr?“, fragte Matthias, noch immer bedacht, ruhig und mild zu klingen.
Philipp rollte die Augen zum Himmel. „Nein, hatten wir nicht, vermaledeit!“ Er schrie es fast.
„Warum ist sie dann fort?“, fragte Matthias nun scharf, denn er spürte, wie seine Geduld erlahmte. „Und wohin? Und woher rührt deine geschwollene Wange?“
Philipp stieß Luft aus, abgehetzt, erschöpft, zerrüttet. Wieder zuckte sein Blick irr umher.
„Sie ist zu Hause, nicht wahr? Wir werden jetzt dorthin gehen, Philipp Eichhorn“, sagte Matthias mahnend. „Und wehe dir, wenn wir sie zugerichtet vorfinden!“
„Bitte!“, flehte Philipp und stützte sich mit dem Arm an die Gebäudemauer. „Ich …“
„Grundgütiger Himmel, was hast du ihr angetan?“, rief Gundel schrill.
Matthias sah, wie Philipps Blick zu etwas hinter seiner Schulter zuckte und er die Hand von der Mauer nahm. Er drehte sich um und sah einen Mann herankommen, der Kleidung nach ebenfalls ein Knecht der Kanzlei. Er war von kräftiger Statur, kräftiger als Philipp, und er hatte eine augenfällig große, schiefe Nase.
Philipp stöhnte leise.
„Gibt es Beschwernisse?“, fragte der Herankommende in einem Ton, der deutlich machte, dass er diese durchaus erwartete, nicht von den Besuchern, sondern von einem unverständigen, störrischen Kollegen. Er grinste dabei auf eine Art, die durchaus etwas Höhnisches hatte, sodass Matthias sich unwillkürlich fragte, welchen Ruf Philipp hier genoss. Er grüßte den Mann, der ihm nur wenige Jahre älter dünkte als Philipp, und antwortete: „Wir reden nur rasch mit unserem Schwiegersohn, verzeiht, er wird sogleich zur Verfügung stehen.“
„Verschwinde, Nickel!“, zischte Philipp. „Dies ist eine Familienangelegenheit!“
„So?“, machte der Angesprochene. Noch immer grinsend sah er von einem zum anderen.
„Hau ab!“, kreischte Philipp.
Der Kollege Nickel hob abwehrend die Hände, sie alle starrten auf Philipp, der kopflos
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