Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
schien, der schwankte und nicht ein noch aus wusste, das erkannte ein Blinder.
„Besser, Ihr lasst uns noch einen Augenblick, er wird gleich kommen“, sagte Matthias zu Philipps Kollegen.
„Besser, ich hole den Botenmeister“, antwortete dieser und grinste nun nicht mehr.
„Den Teufel wirst du tun, Nickel Scheißhaufen!“, brach es aus Philipp heraus, und er ging an Matthias vorbei auf den anderen zu, die Hände zu Fäusten geballt.
„Philipp, um Gottes willen!“, rief Gundel hilflos. „Was ist dir nur?“
Matthias sah seinen schlaksigen Schwiegersohn an. Dessen Gesicht war rotfleckig, drei senkrechte Falten standen zwischen seinen Augenbrauen, die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, hart schob er eine Strähne zurück hinter die Ohren, während er vor seinen Kollegen hintrat. Dieser wich nicht zurück. Lauernden Blickes starrte er Philipp an. Matthias trat zwischen sie, rüttelte Philipp. Der schlug ihm die Hand von der Schulter. „Geh weg!“, fauchte er. „Geht alle weg. Lasst mich in Ruhe!“
Das war zu viel für Matthias. Er ließ sich doch nicht von einem zwanzigjährigen Jüngelchen derart anschreien und zurechtweisen! Dieser Besenstiel, der trotz des wollenen Mantels gerade mehr denn je aussah, als bräche er bei der geringsten Anstrengung in der Mitte entzwei! Er packte Philipp, rüttelte ihn erneut. „Was ist nur mit dir los?“
Philipp begegnete ihm mit einer Kraft, die er ihm gerade eben noch abgesprochen hatte. In seinen Augen glommen Wut, Irrsinn und Verzweiflung, als er Matthias’ Hände wegzerrte und hervorstieß: „Fass mich nicht an!“
„Großer Gott, Philipp, was tust du da?“, rief Gundel gellend und trat näher an sie heran.
Philipp stand drohend vor ihnen, die Hände erhoben und zu Fäusten geballt. In Matthias brodelten Unverständnis, Sorge, Zorn. Er konnte sich auf all das keinen Reim machen, starrte Philipp an, bereit, ihn zu schlagen, sollte es dazu kommen.
Aber es kam nicht dazu. Philipp nahm die Arme herunter. Er gaffte sie an, als habe er Mühe zu begreifen, wen er vor sich hatte. Dann schlug er die Hände vors Gesicht. Wieder und wieder schüttelte er den Kopf. Nahm schließlich die Hände herunter und schaute sie an mit einem Blick, der Matthias durch Mark und Bein ging. So viel Verwirrung lag darin, so viel Pein, dass er unwillkürlich fragte: „Grundgütiger, du hast sie doch nicht etwa …“ Weiter kam er nicht, seine Stimme versagte. Er hörte, wie Gundel aufschluchzte, sah, wie Philipps Gedanken arbeiteten. Philipps Kollege murmelte etwas und verschwand.
Gundel trat nah an Philipp heran, legte ihm die Hand auf den Arm, doch Philipp schüttelte sie ab. Mit grotesk verzerrtem Gesicht presste er mühsam hervor: „Bitte lasst uns später …“
„Du bist gänzlich von Sinnen!“, unterbrach Matthias ihn scharf. „Du erzählst Lügen, gebärdest dich äußerst merkwürdig und kannst uns nicht sagen, wo Hedwig und Juliana sind. Da sollen wir unserer Wege gehen? Bist du derart von Gott verlassen, dass du dies auch nur einen Herzschlag lang annehmen kannst?!“
„Bitte, Philipp, so sage uns doch, was geschah!“, flehte Gundel erneut. Sie faltete in einer hilflosen Geste die Hände vor dem Gesicht, fasste schließlich nach Matthias’ Arm, warf ihm einen verzweifelten Blick zu.
Matthias war völlig durcheinander. In ihm tobten Kräfte, die ihn auseinanderzureißen drohten. Es war die Sorge um seine Tochter, eine Ahnung, dass etwas Grauenvolles geschehen war. Es war die Wut auf Philipp, der die Lippen zusammenpresste und schwieg, sodass er am liebsten auf ihn eingeprügelt hätte. Und nicht zuletzt war es die Sorge um Philipp, denn er sah, wie sein Schwiegersohn wankte wie eine dünne Birke im Wind, die jeden Augenblick umzustürzen drohte. Herr im Himmel, was war zu tun?
Die Antwort auf die Frage wurde ihm abgenommen. Zuerst begriff Matthias nicht, er hörte Schritte im Schnee knirschen, wandte sich um und sah Philipps Kollegen in Begleitung eines gedrungenen Mannes zurückkehren, der sich im Gehen einen schwarzen, schlapprandigen Hut auf den kahlgeschorenen Schädel setzte. Während Matthias den Herankommenden entgegensah, hörte er Gundels erstickten Schrei, sah, dass dieser Nickel plötzlich die Beine in die Hände nahm und zu laufen begann. Er drehte sich um und bemerkte zu seinem blanken Entsetzen, dass Philipp davonlief. Eine Eisenfaust griff nach seinem Herzen, riss es im selben Augenblick mitten aus seiner Brust. Ein Schmerz, so kalt und leer,
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