Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch des Vergessens

Das Buch des Vergessens

Titel: Das Buch des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
Vom Netzwerk:
so erfahren haben musste.«
Anmerkung
Aber in einem Bericht aus dem Jahr 1963, der ›final summary‹ in Brain, sollte die Frau gesagt haben: »Ich bin nie in einer Holzhandlung gewesen.«
Anmerkung
Der Kommentar, die Elektrode habe eine vergessene Erinnerung zurückgebracht, fehlt dieses Mal. Und in dem Bericht über M.   M. in The mystery of mind ist sogar die ganze Holzhandlung verschwunden.
Anmerkung
Um die Wahrnehmung, man höre jemanden in einer Holzhandlung rufen, als eine ›vergessene Erinnerung‹ zu klassifizieren, ist es natürlich essenziell, ob man je in einer Holzhandlung gewesen ist. Und selbst wenn das wirklich der Fall ist, bleibt noch die Frage, ob hier nicht zwei Erinnerungen – an das Rufen und das eine Mal, dass sie in einer Holzhandlung war – ineinandergeschoben wurden, sodass weniger ein Stück Tonband abgespielt wird als eher eine Zusammenstellung aus Erinnerungsfetzen, die man nicht Reproduktion, sondern Rekonstruktion nennen müsste. Der Zweifel darüber, welchen Status die Erfahrungen, die Penfield aufrief, nun genau haben – Erinnerung, Halluzination, Fantasie –, wird noch durch die seltsamen Zeitverschiebungen verstärkt. Für ziemlich viele Patienten hatte die Erfahrung, auf dem OP – Tisch zu liegen, schon den Charakter eines Déjà-vu-Erlebnisses, als erinnerten sie sich vage, dies schon einmal genauso erlebt zu haben. Können Wahrnehmungen von Geräuschen oder Bildern dann nicht auch zu Unrecht als Erinnerung erlebt worden sein? Sogar die Version, in der Frau M. M. sagte, ›selten oder nie‹ in einer Holzhandlung gewesen zu sein, scheint eher eine Art Ablenkung als ein Erleben, dass sie ›dies einmal so erfahren haben musste‹. Eine andere Zeitverschiebung ist, dass die ›Erinnerungen‹ so klar und deutlich waren, dass der Patient das Gefühl hatte, sie in der Gegenwart zu erleben. Die Datierung in der Vergangenheit kam laut Penfield häufig erst anschließend, im Nachgespräch. Aber daraus ergibt sich sofort das heikle Problem, dass sich der Patient nicht nur an die Wahrnehmung erinnern muss, sondern auch, ob diese Wahrnehmung seinerzeit bereits eine Erinnerung war. Dass sich viele Patienten bei all diesen Berührungen fühlten, als ›befänden sie sich in einem Traum‹, macht es schwierig, ihrem Urteil über die Herkunft dessen, was ihnen alles so durch den Kopf ging, zu trauen.

    1982 berichteten Pierre Gloor und vier Neurologen-Kollegen über eine Serie von Experimenten an epileptischen Gehirnen.
Anmerkung
Auch diese Experimente waren am MNI durchgeführt worden, aber mit einer etwas anderen Technik. Bei 29 Patienten mit Schläfenlappenepilepsie wurden Tiefenelektroden im Gehirn angebracht. In den Wochen davor war die antiepileptische Medikation abgesetzt worden, und man hoffte, mit den Elektroden die Stelle eventueller Anfälle zu orten. Sie blieben einige Wochen im Gehirn und konnten über Telemetrie abgelesen werden. Umgekehrt konnten mit den Elektroden auch Stromstöße verabreicht werden. Anders als bei Penfield, der nur die Oberfläche stimulierte, ragten manche Elektroden bis in den Hippocampus oder die Amygdala, die tiefer im Schläfenlappen liegen. Hippocampus und Amygdala sind Teil des limbischen Systems, evolutionär gesehen ein alter Teil des Gehirns, der bei Aufmerksamkeit, Hormonregulation, Geruch und Emotionen eine Rolle spielt. Bei 62 Prozent der Patienten traten Phänomene auf, von denen auch Penfield berichtet hatte: Déjà-vu-Erlebnisse, das Gefühl, sich in einem Traum zu befinden, Flashbacks und visuelle Halluzinationen. Aber die Wahrnehmung, von der am häufigsten berichtet wurde, war Angst, variierend von einer leichten Beunruhigung vor kommendem Unheil bis zum panischen Gefühl, flüchten zu müssen. Auffällig war die Variation dessen, was die Patienten als Ursache für ihre Angst erlebten, sowohl von Patient zu Patient als auch bei demselben Patienten zu unterschiedlichen Momenten. Einmal war die Angst verbunden mit einer Jugenderinnerung, unter Wasser gedrückt zu werden, ein anderes Mal mit der Angst, eine Hausarbeit noch nicht fertigzuhaben, die schon vor zwei Wochen hätte abgegeben werden müssen. Leichte Angst konnte mit dem Gedanken verbunden sein, am Rand eines Springbrunnens zu sitzen und aus Versehen ins Wasser zu fallen, starke Angst mit dem Gefühl, hoch oben auf einer Klippe über dem Meer zu stehen. Die Situation schien sich nach der Intensität zu richten. In keinem einzigen Fall formten die Wahrnehmungen mehr als eine

Weitere Kostenlose Bücher