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Das Buch des Vergessens

Das Buch des Vergessens

Titel: Das Buch des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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worden zu sein. Keine Vermutungen ohne Bestätigung. Für das Zurückholen vergessener Erinnerungen könne Hypnose gute Dienste erweisen, aber auch mit kreativer Therapie, Regressionstherapie, Traumanalyse oder körperbezogener Therapie könne der verlorene Kontakt wiederhergestellt werden. Schlussakt der Therapie sei in vielen Fällen ›die Konfrontation‹: die Täter aufsuchen und deutlich machen, was sie angerichtet haben.
    In weniger als zwei Jahren wurde Amerika zur Bühne der memory wars – Plural, weil man von einer ganzen Reihe von Kampfarenen sprechen konnte. Das Internet war eines davon. Auf Tausenden Websites von Therapiegruppen, Selbsthilfegruppen, retractors, Spezialisten für Personenschäden und Workshops lieferte man sich eine virtuelle Schlacht. In Rechtssälen zeichnete sich schnell ein Expertenstreit ab. In der Wissenschaft stieg die Zahl der Bücher und Artikel über Gedächtnis, Trauma und Verdrängung exponentiell an. Wie war diese Explosion zu erklären? Wenn The courage to heal die Lunte war, was war dann das Pulverfass?

    Die Antwort der ›recovered memories‹-Bewegung war einfach: Sexueller Missbrauch finde in einem erheblicheren Ausmaß statt, als man denke, dieser Missbrauch treffe überwiegend Frauen, spezialisierte Therapien böten eine sichere Umgebung, um die Erinnerungen an diesen Missbrauch wieder ›auszugraben‹; dies wiederum rege andere Frauen dazu an, das Gleiche zu tun, und so komme ein sich selbst verstärkender Wachstumsprozess in Gang. Aber wenn sexueller Missbrauch überall stattfindet, warum hatte die ›recovered memories‹-Bewegung dann eine so selektive geografische Verbreitung, die hauptsächlich auf die Vereinigten Staaten beschränkt blieb und innerhalb von Europa vor allem auf die Niederlande? In Deutschland oder Frankreich kamen keine vergleichbaren Bewegungen zustande. Welche gesellschaftlichen Faktoren förderten dieses spezifische Muster?
    Elaine Showalter, Professorin für englische Literatur an der Universität Princeton, hat versucht, den Kampf um wiedergefundene Erinnerungen mit historischer Distanz zu betrachten.
Anmerkung
Davor hatte sie The female malady geschrieben, eine Studie über die Geschichte der Hysterie als psychiatrische Diagnose.
Anmerkung
In diese Kategorie ordnet sie auch den schnellen Aufschwung der ›recovered memories‹-Bewegung ein. Für sie sind die Therapien, die um wiedergefundene Erinnerungen entstanden, Beispiele der Legitimation an sich sozialer und psychischer Probleme. Es sind aktuelle Manifestationen dessen, was noch vor einem Jahrhundert bei Frauen Hysterie und bei Männern Neurasthenie hieß. Ein wichtiger Faden in ihrem Argument ist der erzählende Charakter moderner Formen von Hysterie. Die Geschichten über wiedergefundene Erinnerungen – aber auch die über das Golfkriegssyndrom oder multiple Persönlichkeiten – können sich über Internet, Zeitungen und andere Medien rasend schnell verbreiten, wie Viren bei einer Epidemie. Bücher, Filme oder Dokumentationen liefern prototypische Geschichten über wiedergefundene Erinnerungen. Menschen, die noch nie von wiedergefundenen Erinnerungen gehört hatten, entwickeln so eine große Vertrautheit mit den psychischen Beschwerden, die dadurch entstehen können, und fragen sich, ob ihre Beschwerden vielleicht auch die Folge verborgener Erinnerungen sind. Der zufällige Umstand, dass eine Gruppe von Therapeuten schon in einem frühen Stadium während einer Studienreise nach Amerika Therapien für wiedergefundene Erinnerungen kennenlernt, kann mit sich bringen, dass in dem Land, aus dem die Gruppe stammt, eine vergleichbare Bewegung in Gang kommt. Die Geschichten, die Menschen dann erzählen, und die Anknüpfungspunkte, nach denen Therapeuten suchen, passen dadurch gut zueinander. Auch dann entsteht eine heikle Form von Zirkularität: Die auffällige Gleichheit all dieser Erzählungen kann die Vorstellung wecken, die wiedergefundenen Erinnerungen seien authentisch.
    Die Problematik wiedergefundener Erinnerungen verursachte Uneinigkeit in der therapeutischen Gemeinschaft. Die Verlässlichkeit von Checklisten wie die von Bass und Davis war von Anfang an umstritten. Dass traumatische Erinnerungen ›begraben‹ werden konnten, stand längst nicht für alle Therapeuten fest, genauso wenig wie der therapeutische Wert des ›Wiederfindens‹. Ebenso unentschieden war auch die Frauenbewegung. Die Hilfeleistung für missbrauchte Frauen wurzelte tief im Feminismus und war lange Zeit

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