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Das Buch des Vergessens

Das Buch des Vergessens

Titel: Das Buch des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Meinungsverschiedenheiten über das, was als Fakt gilt. Die Kontroverse verschiebt sich auf die Ebene von Kriterien, Definitionen und Methoden.
    Der einzige Ort, an dem sich echte Wissenschaft und echte Traumata begegnen, ist dort zu finden, wo sich persönliche oder kollektive Katastrophen ereignen: ein Erdbeben, ein Flugzeugabsturz, ein schwerer Verkehrsunfall, eine Entführung, ein Brand, ein gewalttätiger Überfall, eine Vergewaltigung. Das sind Umstände, die leichthin als ›experiments of nature‹ bezeichnet werden und Forscher in die Lage versetzt haben, so gut wie möglich die Reaktionen des Gedächtnisses zu beobachten. Was kann man aus traumatisierenden Ereignissen über Verdrängen oder Vergessen lernen?
    Für die Theorie, schockierende Ereignisse könnten zu ›Dissoziation‹ führen, bei der die traumatischen Erinnerungen sozusagen abgespalten werden und dadurch später nur schwer zugänglich sind, fand man keine Bestätigung. Bei 115 Polizisten, die in einen heftigen Schusswechsel geraten waren, wurde überprüft, ob ihre Erinnerungen tatsächlich auf diese Weise ›verdrängt‹ waren.
Anmerkung
Das war nicht der Fall: Sie wurden eher von Wiedererleben und Flashbacks gequält, Phänomene, die man auch schon von Vietnamveteranen und Soldaten kannte, die aus dem Golfkrieg zurückkamen. Auch Überlebende von Auschwitz bezeugten, dass nicht so etwas wie›Dissoziation‹ aufgetreten war, ihre Erinnerungen schienen nicht verdrängt, sondern drängten sich geradezu auf, in unvorhersehbaren Momenten und mit verheerenden Folgen.
Anmerkung
Das bedeutete nicht, dass diese Erinnerungen, wo sie kontrolliert werden konnten, als eine exakte Replik ins Bewusstsein zurückkehrten. Auch in traumatischen Erinnerungen können Verformungen und Verschiebungen auftreten. Aber sie werden nicht verdrängt oder vergessen.
    In Studien, die sich speziell auf Kinder richteten – relevant für die Kontroverse über wiedergefundene Erinnerungen –, beobachtete man in groben Zügen dieselben Reaktionen auf Traumata. Sechzehn Kinder zwischen fünf und zehn Jahren, die Zeuge eines Mordversuchs an einem ihrer Eltern gewesen waren, behielten äußerst lebendige Erinnerungen daran, die stets als Wiedererleben auftauchten.
Anmerkung
Auch zehn Kinder zwischen fünf und siebzehn, die Zeuge der Vergewaltigung ihrer Mütter gewesen waren, erzählten in Gesprächen von der regelmäßigen Rückkehr von Bildern dieser Vergewaltigung.
Anmerkung
    Die Erforschung wiedergefundener Erinnerungen begann häufig bei dem, was mit den noch übrig gebliebenen Resten zu rekonstruieren war, und versuchte so abzuleiten, was wirklich geschehen war. Die oben erwähnten Analysen beginnen sozusagen auf der anderen Seite: Das belastende oder traumatisierende Ereignis ist gut dokumentiert, und anschließend überprüft man, ob sich an dieses Ereignis erinnert oder ob es vergessen wird.
Anmerkung
Die Ergebnisse treffen sich bei der Schlussfolgerung, dass ›Vergessen‹ auftritt, weil Einzelheiten aus der Erinnerung verschwinden oder sich allmählich Diskrepanzen in die Erinnerung einschleichen, aber dass von Verdrängen oder Abspalten keine Rede sein kann. Was Traumata mit dem Gedächtnis anstellen, ist eher ihre Rückkehr als Verdrängung.
Trauma und Augenbewegungen
    Feuerwehrfrau Marita, jetzt neunundzwanzig Jahre alt, war fünf Jahre zuvor mit ihrem Team zu einem Brand in einer alten Kirche ausgerückt. Ihr Kommandant rannte in einer engen Gasse etwazehn Meter vor ihr, als eine Wand einstürzte. Er kam nicht mehr schnell genug weg und war auf der Stelle tot. Marita hatte gesehen, wie es passierte. Nach dem Vorfall fühlte sie sich schuldig, dass der Kommandant, der Familie hatte, umgekommen war und sie, ohne Kinder, nicht. Weil sie zu ängstlich war, um weiter aktiv auszurücken, bekam sie schließlich einen Schreibtischjob. Als sie nach fünf Jahren noch immer von Albträumen heimgesucht wurde und detaillierte Erinnerungen an den Tod ihres Kollegen hatte, ging sie zu einem Psychotherapeuten.
    Maritas Fall ist der erste von fünfundzwanzig Fallbeschreibungen in dem 2009 erschienenen Casusboek EMDR .
Anmerkung
Der Bericht vermittelt einen guten Eindruck des Verfahrens während einer EMDR – Behandlung. Im ersten Gespräch fragt der Therapeut, welches die schlimmsten Erinnerungen sind, die sie mit dem Unfall verbindet. Marita nennt drei, und der Therapeut schlägt vor, die erste mit EMDR zu behandeln. Das war das Bild der umstürzenden Wand und die damit

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