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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Systeme geht). Welche Richtung der Weg an diesen Punkten einschlägt, unterliegt immer einer Chance-Risiko-Relation. Ergreifen wir die Möglichkeit? Nehmen wir sie überhaupt wahr? Haben wir im entscheidenden Moment den Mut, eine Chance zu ergreifen? Im Krisenkapitel haben wir gesehen,
dass auch »schwere Bedingungen« durch einen Coping-Prozess widerlegt werden können. Aber natürlich gelingt das nicht immer. Denn alle sind verschieden, und die Anzahl der Möglichkeiten im Lebensspiel ist ungeheuer groß.

Gleichheit und Gerechtigkeit
    Was können wir als Politiker also für Hansi tun, was wir nicht schon für ihn getan haben? Vielleicht sollten wir den Philosophen John Rawls zu Rate ziehen, der die »Theorie der sozialen Gerechtigkeit« entwickelt hat. 7 Rawls formulierte: »Soziale und wirtschaftliche Ungleichheit ist nur zulässig, wenn sie sich auch für die am wenigsten Begüterten in der Gemeinschaft zum Vorteil auswirkt.« Welche Ungleichheit könnte sich für Hansi zum Vorteil auswirken? Irgendwie führt diese Frage in eine Sackgasse. Hansi leidet nicht an einem Mangel an Geld oder materiellen Gütern. Das ist nicht der Kern seines Problems. Zuneigung? Wir haben getan, was wir konnten, und sind, zugegeben, etwas ratlos.
    Gerechtigkeit bedeutet, dass Menschen von den Systemen, in deren Kontext sie leben, gleich behandelt werden. Aber in der Praxis ist dies eine leere Forderung, weil Gerechtigkeit, ebenso wie Gleichheit, immer nur ein beidseitiger Akt (in der Fachsprache: ein »System«) sein kann. Wenn ich permanent meine Zähne nicht putze und meine Kleider nicht wasche, ist das meine Privatangelegenheit. Meine Umwelt kann mich nun a) behandeln, als wäre ich sauber und geputzt, oder b) mich meiden, weil ich stinke. Was wäre gerecht? Möglichkeit a) wäre ungerecht gegenüber all jenen, die sich waschen, b) hingegen behandelt mich gleich, auch wenn es für mich unangenehme Konsequenzen hat.
    Gerechtigkeit und Gleichheit sind also auf komplizierte Weise miteinander verknüpft. Ungerechtigkeiten können durch Ungleichheiten ausgeglichen werden. Wenn zum Beispiel alle talentierten Menschen (und Talente sind nun einmal ungleich verteilt)
obendrein immer Erfolg hätten, wäre die Welt noch ungerechter. Auch die Kinder gebildeter Genies können haltlose Alkoholiker werden. In dieser Diagnose liegt die Chance zu einer heilsamen Re-Signation. Lebenserfolg ist nicht »berechenbar« und auch nicht politisch herstellbar. Gleichheit ist nicht gerecht, und Gerechtigkeit kann nicht gleich sein, solange Menschen sich unterscheiden (und Unterscheidung ist das Merkmal aller lebendigen Systeme). Die moderne Wirklichkeit von Internet und Globalisierung verschärft dieses Problem sogar noch. Es führt zu einer Spirale: Je mehr Transparenz, Offenheit, Chancen ein System bietet, desto ungerechter ist es! Denn nun multiplizieren sich kleine Ausgangsunterschiede zu noch steileren Resultaten. Früher konnte es ein Bäcker mit Fleiß zu lokalem Ansehen bringen. Heute kann ein Bäcker, der cleveres Marketing macht, den Brötchenmarkt Europas aufrollen. Aber Fleiß allein bringt nur noch wenig.
    In »The Drunkard’s Walk« (»Wenn Gott würfelt«) bringt Leonard Mlodinow die Unberechenbarkeit des Lebens auf den Punkt:
    »Wenn wir unser Leben unter dem Mikroskop kritischer Beobachtung betrachten, dann wird uns klar, dass sich viele Dinge grundlegend anders entwickelt hätten, wären da nicht winzige Ereignisse gewesen, kleine Verschiebungen, Menschen, die wir trafen, Jobchancen, die plötzlich entstanden. Zur rechten Zeit am rechten Ort sein, ist irre einfach und wahnsinnig schwer zugleich, jedenfalls so gut wie niemals planbar.« 8
    Alle kennen Bruce Willis. Der lebte in den siebziger Jahren in einer abgewrackten Wohnung in der 94sten Straße in New York. Er verdiente sein Geld mit Off-Broadway-Produktionen und Werbefilmen. 1984 fuhr der kantige Willis nach Los Angeles, um die Olympischen Spiele und eine Freundin zu besuchen. Dabei ging er, weil er nichts anderes zu tun hatte, bei einem Casting vorbei und wurde für eine Rolle in einer Fernsehshow namens »Moonlighting«
akzeptiert. Das Projekt war zunächst ein Flop, erhielt dann aber in der zweiten Runde gute Kritiken und wurde bald »Kult«.
    Jeder, der ein wenig vom Schauspielern versteht, weiß, dass Willis’ Talente in dieser Hinsicht eher begrenzt sind. Aber er hat eine markante Visage und eine tolle Stimme. Es ist ein Merkmal unserer modernen Kultur, dass sie immer mehr

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