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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Erde für immer vernichten kann!
    Lass dich mit diesem Opfer besänftigen!
    Die Opferszene ist einer der dramatischen Höhepunkte in Mel Gibsons Film »Apocalypto«. Das Drehbuch des Spielfilms, der eine Geschichte aus der Spätzeit der Maya im 16. Jahrhundert erzählt, stützt sich auf alte Quellen und aktuelle Maya-Forschungen, unter anderem auf den Bericht des katholischen Priesters Diego de Landa, der mit den Spaniern nach Yukatan gekommen war und dort viele Jahre lebte. Landas Haltung zu den Maya war auf einer seltsamen Mischung aus Faszination und Verachtung
gegründet (er ordnete später die Verbrennung eines Großteils der wichtigsten Maya-Schriften an). In seinem »Bericht aus Yukatan« von 1566 1 beschreibt er eine rituelle Opferung:
    »Nun ergriffen die Chaces (Priester) das arme Opfer, sehr geschwind legten sie es rücklings auf jenen Opferstein, alle vier packten es an Armen und Beinen. In diesem Augenblick kam der Nacón, der Henker, mit seinem steinernen Dolchmesser und versetzte dem Opfer mit großer Gewandtheit und Grausamkeit einen Messerstich zwischen die Rippen, an der linken Seite unterhalb der Brustwarze, und sogleich fuhr er dort schnell mit der Hand hinein und packte das Herz wie ein wütender Tiger, riss es ihm bei lebendigem Leibe heraus … dann warfen sie den schon toten Körper die Stufen hinunter, unten packten ihn die Amtsgehilfen und zogen ihm die ganze Haut ab, nachdem der Priester sich ganz entkleidet hatte, streifte er sich jene Haut über, und zusammen mit ihm tanzten nun die Übrigen, was für sie etwas sehr Weihevolles war.«
    Rituelle Menschenopfer gab es auch in anderen frühzeitlichen Kulturen, sie dienten vor allem der Besänftigung der Götter. Wie kann man die unbedingte, selbstmörderische Konsequenz der Maya-Opfer erklären?

Das Rätsel im Dschungel
    Die Halbinsel Yukatan gehört seit Jahrmillionen zu den geologisch und biologisch unruhigsten Regionen der Erde. Durch die feuchten Wälder wabern Milliarden von Mücken. Der Jaguar, die geschmeidigste Raubkatze der Welt, beherrscht die grünen Ozeane, deren Boden in der Regenzeit monatelang nicht passierbar ist, der aber in trockenen Jahren bis zum Grund austrocknen kann. Giftige Schlangen und Insekten sind so zahlreich wie die Lianen, die das
Gelände undurchdringbar machen. Erdbeben und Erdrutsche sind an der Tagesordnung. Im Herbst ziehen Hurrikans über das Land, aufgeladen mit den gewaltigen Energien der tropischen Gewässer. Und regelmäßig bringt El Niño, eine ungewöhnlich warme Strömung im Pazifik, ausgedehnte Trockenperioden, in denen Quellen und Flüsse für Jahre versiegen können.
    In dieser Region begannen indianische Stammeskulturen vor rund eineinhalb Jahrtausenden mit einem gewaltigen Transformationsexperiment. Zur gleichen Zeit, als das antike Rom unter meterhohen Erd- und Schuttschichten verschwand, wuchsen aus dem Dschungel riesige Städte mit Hochhäusern, gewaltigen Tempelanlagen, mit Sportfeldern und Schulen. Kubikkilometer von Stein und Obsidian wurden verbaut und geschichtet, mit wunderbaren Friesen und kunstvollen Ornamenten verziert. Diese Kultur brachte es zur Meisterschaft in Astronomie und Mathematik; sie entwickelte aufgrund genauer Himmelsbeobachtungen einen Kalender, der so präzise war wie der julianische und Schaltjahre kannte. Die »klassische Periode« der Maya dauerte länger als das Römerreich – rund 600 Jahre. Auf dem Höhepunkt dieser Hochzivilisation lebten fünf Millionen Menschen in den Tempelstädten der Halbinsel Yukatan.
    Im Jahr 1839 entdeckte John Stephens, ein reicher amerikanischer Rechtsanwalt mit anthropologischem Faible, die Ruinen von Tikal. Er lieferte eine suggestive Beschreibung der untergegangenen Welt:
    »Die Stadt lag vor uns wie ein zersplittertes Schiff in der Mitte des Ozeans, der Mast zerbrochen, der Name verwittert, die Crew verschwunden; und niemand, der erzählen konnte, woher das Schiff kam, wohin es fuhr, was seine Zerstörung verursachte. Architektur, Skulptur und Malerei, alle Künste, die das Leben erleuchten … dies waren die Hinterlassenschaften von kultivierten, eleganten und besonderen Menschen, die alle Stufen des Aufstiegs erlebt, die ihr Goldenes Zeitalter erobert – und verloren hatten.« 2
    Was war der Grund für den Niedergang der großen Kultur? Anthropologen beschreiben die Maya-Stadtstaaten als »Theaterstaaten«, in denen die »k’uhul ajaw«, die »göttlichen Herrscher«, eine ritualbesessene Schamanenkaste, unentwegt

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