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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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gigantische Inszenierungen aufführten – tagelang, manchmal wochenlang. Die Maya pflegten einen Kult des Sanguinen: Könige entnahmen ihrem Körper öffentlich Blut, mit Menschenblut wurde gemalt, es wurde vielleicht sogar getrunken. In den Worten Diego de Landas:
    »Sie opferten von ihrem eigenen Blut, indem sie sich manchmal runde Stücke aus den Ohren schnitten, bei anderen Gelegenheiten durchbohrten sie sich die Wangen und dann wieder die Unterlippen, manchmal durchlöcherten sie sich die Zunge mit schrägen seitlichen Stichen. Manchmal vollzogen sie auch ein schmutziges und schmerzhaftes Opfer, bei dem (sie) sich im Tempel zusammenfanden, und nachdem sie sich in einer Linie ausgerichtet hatten, bohrte sich jeder ein schräges seitliches Loch in das männliche Glied, nun zogen sie die größtmögliche Menge Schnur durch die Löcher, so dass sie nun alle verbunden und aneinandergereiht waren, und es ist entsetzlich, mit welchem Eifer sie daran hingen!« 3
    Landa spürte, wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu sein, die archaischen Verbindungen zwischen den Kulten der Maya und der katholischen Symbolwelt von Sünde, Opfer, Blut, nur dass die Maya aus ihren blutigen Ritualen kein funktionierendes Heilsversprechen gewinnen konnten. Er erlebte die Maya-Welt wie eines der apokalyptischen Bilder des Hieronymus Bosch:
    »An einem Winterabend gegen sechs Uhr … kam ein Wind auf und wuchs langsam an, bis er zu einem Orkan wurde, und dieser Sturm riss alle großen Bäume um und ließ die hohen Häuser einstürzen, die, da sie aus Stroh sind und wegen der Kälte im Inneren von einem Feuer erwärmt
wurden, in Brand gerieten, so dass ein großer Teil der Menschen in den Flammen starb … und so verlor das Land damals den Namen Land der Truthähne und Hirsche, und es hat dermaßen viele Bäume eingebüßt, dass, betrachtet man das Land von einigen erhöhten Stellen aus, es den Eindruck macht wie mit einer Schere zurechtgestutzt.«
    Danach kamen die Seuchen:
    »Die Überlebenden fassten wieder Mut, sie bauten Häuser und bestellten den Boden, sie mehrten sich sehr, doch dann traten im ganzen Land pestilenzialische Fieberanfälle auf, die 24 Stunden dauerten, und als sie vorüber waren, schwollen die Kranken an, und ihre wurmzerfressenen Leiber zerbarsten … hierauf befiel sie eine Pestilenz von großen Blatterngeschwüren, die ihre Körper verfaulen ließen und einen schlimmen Gestank verbreiteten; so dass ihnen in vier oder fünf Tagen die Glieder stückweise abfielen …« 4
    Die Maya waren, auch wenn man die Maßstäbe der Naturgesellschaften anlegt, eine besonders von der Umwelt geplagte Zivilisation. Gleichzeitig waren sie enorm fantasiebegabt, künstlerisch ambitioniert, ja übersensibel. Sie hatten große Angst vor dem Tod und sie entwickelten eine prophetische Besessenheit, die Zukunft in jedem Detail vorauszusagen. 5 Die Sensibilität brachte die Maya-Kultur in eine symbolische Eskalationsspirale, in eine rauschhafte Überritualisierung des alltäglichen Lebens. Landa berichtet von exzessiven Festen und übermäßigem Alkoholkonsum, »so dass es ein großer Jammer war, zu sehen, wie sie durch das viele Trinken, einige von ihnen zerkratzt, andere mit zerschlagenem Kopf, wieder andere mit blutunterlaufenen Augen umherliefen, und trotz alledem waren sie dem Wein derart zugetan, dass sie sich seinetwegen zugrunde richteten«. 6
    Die Maya-Kultur, die um 800 ihre »klassischen Periode« gehabt hatte, 7 versank zum Schluss in internen Konflikten. Es gab Krieg –
von Stadt zu Stadt, von Herrscher zu Herrscher, von Sippe zu Sippe. Bald folgten grausame Ausrottungsfeldzüge, bei denen der gegnerischen Herrschersippe öffentlich die Fingernägel ausgerissen und die Hände abgehackt wurden. Die Leichen wurden in die Kanalisation geworfen und so die Wasserversorgung zerstört. Wie Berserker auf einem Trümmerhaufen zerstörten die Maya Stadt um Stadt, ruinierten Tempel um Tempel – und schrieben bis zum Schluss eitle Schriften über Heldentaten in den Stein.
    Dann verschwanden die »Kinder des Jaguars« im Dschungel, wo sie wieder Jäger und Sammler oder einfache Bauern wurden. Die gewaltigen Zeugnisse einer der größten Hochkulturen der Erde wurden vom Dschungel verschlungen.

Das Stress-und-Angst-System
    Menschen sind von der Evolution als Überlebensmaschinen konstruiert, wie alle Organismen auf der Erde. Allerdings unterscheidet sich der Homo sapiens durch einige neurophysiologische Eigenheiten von den anderen

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