Das Buch des Wandels
Messingplatte.
Wer sich ein wenig mit dem Ticketverkäufer in seinem unweit davon stehenden Häuschen unterhält, bekommt eine grobe Geschichte des Ungetüms geliefert. Es handelt sich um die Reste eines
Dampfkettenfahrzeugs des deutschen Ostafrika-Korps, das hier im Ersten Weltkrieg gegen die Briten kämpfte. Das Gerät blieb schon im ersten Jahr seines Einsatzes in der Regenzeit hoffnungslos im Morast stecken und wurde bis auf diesen Kessel demontiert.
Doch der koloniale Traum von einem starken »Afrika-Deutschland« sollte sich nie erfüllen. Wie so vieles an den kolonialen Träumen scheiterte es nicht nur an der Technik, deren Überreste man hier besichtigen kann. Vor hundert Jahren ereignete sich hier, im Herzen Afrikas, ein »Zusammenstoß von Kulturen«, dessen unselige Auswirkungen wir bis heute spüren können in der schwierigen, in manchen Regionen auch schrecklichen postkolonialen Geschichte Afrikas.
M’bekwale zählt nahezu 1000 Einwohner, die in verstreuten Häusern auf rund drei Quadratkilometern wohnen. Rund die Hälfte sind traditionelle Lehmstrohhütten, der Rest besteht aus einfachen Betonfertigteilen, wie sie in vielen Teilen Afrikas Verwendung finden. Die Gegend ist grün und fruchtbar; abends hört man das laute »flatsch« der Mangos auf den Dächern, überall liegen kleine Felder, Bananenhaine, Maiszeilen. Alle machen einen fröhlichen und einigermaßen gut genährten Eindruck. Schneeweiße Adidas-Schuhe scheinen das Statussymbol des Ortes zu sein. Vereinzelt sieht man Handys (meistens in der Hand der jungen Männer mit den Adidas). An der Bushaltestelle steht ein kleines, zweistöckiges »Hotel« – das örtliche Bordell. Es gibt eine Polizeidienststelle. Das mit Abstand größte Gebäude ist die Schule, ein weitläufiger Gebäudekomplex, der wie eine riesige flache Fabrik mit Gitterstäben an den Fenstern aussieht.
Zwei »Stations« gibt es im Ort, winzige Hütten für Gebrauchsgüter. Darin kann man auf vier Quadratmetern erstaunlich viel von dem erstehen, was die Weltwirtschaft zu bieten hat, nur in winzigen Packungen und Portionen: Kaugummi, Joghurt, Zucker, Mehl, Salz, Mottenpulver, Pflaster, Shampoo, Seife, Waschpulver, Süßigkeiten, Aspirin, Handykarten, Zigaretten (Marlboro, einzeln), Streichhölzer, in einer sogar Handy-Wertkarten. Das
einzige regionale Produkt scheinen bunte Stofftücher zu sein, die die Frauen so schön und würdevoll machen.
Vielleicht hundert junge Frauen halten in einem Mangohain eine Versammlung ab. Sie singen und tanzen, umgeben von Gruppen rauchender Jungs im vorpubertären Alter. Aber das ist keine Party. Es ist eine »marital-rights«-Schulung, eine Art Initialisierung für das heiratsfähige Alter. Die jungen Frauen im Alter von 16 bis 20 Jahren sollen in ihren Rechten gegenüber Männern belehrt und gestärkt werden. Es geht um Verhütungsmittel, um Ehehygiene, um mögliche Gewalt. Eine ältere Frau singt in englischer Sprache in ein Megafon, und alle klatschen dazu:
He can’t beat you!
He has to be careful!
He must bee good, or you don’t take him!
Alle lachen und johlen, vor allem die kleinen Jungs.
»Hat sich etwas verändert hier, in den letzten Jahren?«, frage ich unseren Guide, der in M’bekwale aufgewachsen ist und jetzt im nahen Wildpark-Resort arbeitet.
Er denkt nur kurz nach.
»Lots and lots of change. Lots of progress. Things are getting much better!«
Die Straße in Richtung Daressalam wurde teilweise ausgebaut. Jetzt dauert es nur noch sechs bis acht Stunden in die Hauptstadt. Für 120 Kilometer! Der Bus ist alt, die ersten 50 Kilometer sind von Schlaglöchern übersät, immer wieder müssen die Passagiere aussteigen und den Bus aus einem Schlammloch schieben, wenn es geregnet hat. Aber seither kommt Geld in den Ort. Einige wenige arbeiten nun in der Hauptstadt. Deshalb die Turnschuhe. Und die Nokia-Handys. Es gibt Transistorradios und zwei batteriegetriebene Fernseher im Ort. Und zwei Autos, dreißig, vierzig Jahre alte Renaults, die manchmal fahren. Sehr manchmal.
The biggest change, sagt unser Guide, ist allerdings, dass dieses Jahr keine Frauen mehr von den Krokodilen gefressen wurden!
Wie bitte?
Das Flusskrokodil versteht sich raffiniert zu tarnen. Es vergräbt sich im Schlamm oder schwimmt, wenn das Wasser durch Regenfälle braun und undurchsichtig wird, sehr knapp unter der Oberfläche. Wenn es einmal Beute an einem Uferabschnitt gemacht hat, lässt es nichts unversucht, dort wieder Erfolg zu haben. Seit die
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