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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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Kulturen verfügen über eine Art Immunsystem, es besteht aus Sprache, angstbannenden Ritualen, aus kognitiven Leistungen, aus vielen feinen Mechanismen, die die Menschen in die Lage versetzen, sich veränderten Bedingungen anzupassen. Selbst schwierigste Krisen können gemeistert werden, ja sie können sogar noch zur Stabilität und Widerstandsfähigkeit einer Kultur beitragen. Bis sämtliche »Stabilisatoren« versagen und eine Kultur wirklich »abstürzt«, das heißt verschwindet oder sich zerstreut, müssen auch hier mehrere Faktoren zusammenkommen:
    Schlechter Boden
Wenig Nutzpflanzen und Nutztiere
Schreckliche Krankheiten
Furchtbare Naturkatastrophen
Schlechte Herrscher
Korruption
Starres Herrschaftssystem
Schwaches Führungssystem
Überdimensioniertes Religionssystem
Zu schwaches Ritual-/Kultursystem
Zerstörerische und andauernde Kriege
Besatzung und Kolonialisierung

    Zu viele Sprachen
Zu wenig Diversität
Unverarbeitete Traumata
Besonders heimtückische Feinde.

Kulturen des Scheiterns
    Man kann die Geschichte der Maya einfach als archäologische Randnotiz zu den Akten legen. Wir können vom Schicksal dieser großartigen Kultur aber auch eine Menge lernen. Etwa, dass eine der klassischen Annahmen über den Wandel Unsinn ist: »Menschen ändern sich erst dann, wenn sie einmal richtig gegen die Wand fahren.«
    Die Maya sind gegen die Wand gefahren – und zwar gründlich, wiederholt und schließlich unwiderruflich!
    Der sich abzeichnende Maya-Hype um das Jahr 2012, wenn ihr Jahrtausendkalender zu Ende geht, zeigt, wie tief wir mit dem Maya-Mem verbunden sind. Diese Kultur lässt uns nicht los. Sie bietet uns jede Menge Projektionsflächen für unsere inneren Ängste.
    Nach dem Politikwissenschaftler Dominique Moïsi sind drei Emotionen zentral für alle politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen: Angst, Demütigung und Hoffnung. 16 Wenn ganze Gesellschaften in den Bann von Angst und Demütigung hineingerissen werden, entsteht so gut wie immer ein »Maya-Syndrom«. Für diese Faustregel des Niedergangs gibt es in Geschichte und Gegenwart mehr als eine Entsprechung. Je größer die Angst und je geringer die Hoffnung, desto mehr neigen Menschen dazu, sich mit einer geschlossenen, aggressiven Gruppe, einem »Großen Wir« zu identifizieren, im Extrem bis zum Aufgehen in hysterischer Kollektivität. »Opfer!!!«, brüllte Joseph Goebbels auf dem Reichsparteitag von 1943. »Im Opfer liegt die Reinigung der Schuld! Geht den harten Gang um der Zukunft willen! Das Opfer ist alles!« 17 Maya-Sound pur.

    Sehen wir uns ein Beispiel aus der Gegenwart an, den Alptraum Nordkorea: Ein Diktator wie eine Zuckerpuppe, mit einem Gesicht wie ein Kind, herrscht über ein Millionenvolk von – so sieht es zumindest aus – willenlosen Untertanen. Sie jubeln einer Maskenfigur zu, die sie in die Hungerkatastrophe geführt hat, ihnen alle Rechte nimmt und sie in einem waschechten Steinzeitkommunismus wie Sklaven hält. Wie ist das möglich?
    Die nordkoreanische Tragödie lässt sich vielleicht durch das Trauma der Kriege in diesem Land entschlüsseln. Korea ist immer wieder besetzt, geplündert, aufgeteilt, auf äußerst brutale Weise gedemütigt worden. Nach 1905 hatten die Japaner mit Zustimmung des russischen Zaren »freie Hand« zur totalen Unterdrückung der Bevölkerung. Rund vier Millionen Koreaner wurden als Sklaven in der japanischen Kriegsindustrie gequält. Besonders traumatisch war die Verschleppung der sogenannten »Trostfrauen«, Hunderttausender häufig als Minderjährige in den japanischen Militärstützpunkten missbrauchter Zwangsprostituierter. Unter diesen Bedingungen wurden die inneren Bindungen der Zivilgesellschaft zerstört.
    Der letzte Krieg, der Koreakrieg von 1955, forderte unter der Zivilbevölkerung nach Schätzungen fast 3 Millionen Menschenleben – bei damals 15 Millionen Einwohnern ein extremer Blutzoll, der selbst im Zweiten Weltkrieg nicht erreicht wurde (im Zweiten Weltkrieg kamen 3 Prozent der europäischen Bevölkerung ums Leben). 40 000 UN-Soldaten, 600 000 koreanische und ebenso viele chinesische Soldaten starben bei Kampfhandlungen. 450 000 Tonnen Bomben wurden von der US Air Force abgeworfen, darunter allein zwischen Juni und Ende Oktober 1950 insgesamt 3 Millionen Liter Napalm. Dies ist ein Vielfaches der im Vietnamkrieg eingesetzten Menge und war wesentlich verheerender, da in Nordkorea mehr Ballungszentren mit größerer Bevölkerungsdichte und mehr Industrie als später in Vietnam

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