Das Buch des Wandels
Regierung zwei Brunnen gebaut hat, müssen die Frauen nicht mehr zum Fluss hinunter, um zu waschen und Wasser zu holen.
»There are lots of unhappy crocodiles«, sagt der Wildhüter und lacht, wie man eben in Afrika zu lachen pflegt, laut und herzlich. »There is a lot of change, and women are now happier.«
M’bekwale ist ein typisches Beispiel der frühen ersten Transformation – von der tribalen Jäger-und-Sammler-Kultur zur agrarischen Gesellschaft. Die Gesellschaft hat sich bereits ausdifferenziert. Es gibt Handwerker, bescheidene Vorratshaltung, Haustiere, die bei schlechten Ernten das Überleben sichern. Der relative Wohlstand des Dorfes basiert auf kleinen Feldern rund um jedes Haus: Maniok, Ziegen, Mais, Reis. Die Jagd im angrenzenden Reservat mit seinen Megatonnen von Fleisch hat sich auf einzelne Wildereifälle reduziert (mit Hilfe von bescheidenen Transferzahlungen des Wildparks). Zäh, aber kontinuierlich gehen die Krankheiten zurück, sinkt die Säuglingssterblichkeit und in der Folge die Geburtenrate. Das nächste große Krankenhaus findet sich in der Hauptstadt, aber 50 Kilometer entfernt, drei Stunden mit dem Jeep, gibt es eine recht passable Krankenstation. Wie in den meisten Regionen Afrikas, aus denen selten eine Fernsehkamera Bilder schickt, verbessern sich die Dinge millimeterweise. Aber sie verbessern sich. 60 Prozent der afrikanischen Länder haben in den letzten zehn Jahren Wachstumsraten über 6 Prozent verzeichnen können.
Das Dorf zeigt, was sich überall in Afrika als Prinzip des Wandels abzeichnet: Wenn die schrecklichen Bürgerkriege längere Zeit verebben (die oft nichts anderes waren als der »heiße Kalte Krieg« – Stellvertreterkriege der Supermächte), wenn die Regierungen von halbwegs vernünftigen Staatsmännern geleitet werden,
wenn die Korruption auf ein erträgliches Maß sinkt, dann ändern sich die Dinge.
Wenn, wenn, wenn. Und auch dann nur sehr langsam. Der ganze Planet ist inzwischen enorm ungeduldig mit seinem schwarzen Kontinent. Wie kann es sein, so der Untertext in unzähligen UNO-Papieren, Leitkommentaren, Betroffenheitsberichten, dass Kontinente wie Asien, dass immer mehr Länder und Regionen sich stetig in Richtung Wohlstand bewegen, während ein einziger Kontinent allen Hoffnungen auf Fortschritt und Wohlstand Hohn zu sprechen scheint? Und das allen Sonder- und Dringlichkeitsprogrammen der UNO, allen Entwicklungsmilliarden, betroffenen Rockkonzerten, Diakonie-Spendenaktionen und Brunnenbau-Aktionen zum Trotz?
Wie schnell ist der Wandel?
Wir nähern uns den Kernfragen. Zunächst: Ist sozialer Wandel – oder »kulturelle Progression« – ein extrinsischer oder intrinsischer Prozess? Hängt es von den Umständen ab, wie Menschen sich verhalten (und den Wandel gestalten)? Oder sind es letztlich »tief wurzelnde Mentalitäten« oder gar »Vererbungen«, die den Wandel und die Wandlungsfähigkeit einer Kultur steuern – wie viele durchaus kluge Menschen eigentlich meinen (auch wenn es politisch unkorrekt ist, dies zu sagen).
Was es in M’bekwale im Unterschied zu jedem asiatischen oder europäischen Dorf nicht gibt, sind größere Überschüsse und Produktivitätssteigerungen. Tom, der (deutsche) Manager der kleinen Lodge, in der wir 14 Tage unserer großen Afrika-Familien-Expedition verbringen, erzählt von den vergeblichen Versuchen, die Bewohner in die touristische Nahrungsmittelproduktion einzubeziehen. »Wir haben Bedarf an größeren Mengen Salat, Gurken, auch Fleisch von Schweinen. Wir zahlen gut, für hiesige Verhältnisse sehr gut. Aber es geht nicht! Die Leute fangen in unserem
Auftrag ein Feld an, vergessen es aber wieder und essen die Ernte dann mit ihrer Familie selbst auf. Sie züchten ein Schwein, und wir fragen an, wann wir es abholen können, aber dann haben sie es leider, leider schon an einen Schwager verschenkt. Sie haben einfach kein genuines Gefühl für Business .«
So importiert die Lodge ihr ganzes Gemüse, Salat und Fleisch per Kleinflugzeug aus Südafrika, 2500 Kilometer entfernt, zu horrenden Preisen, anstatt zur lokalen Ökonomie beizutragen.
Wie Menschen sich verhalten, legt also zunächst einmal der Kontext fest. Menschen in allen Kultursystemen sind zu Adaptionen und Verbesserungen ihrer Umwelt fähig, wenn sie nicht täglich um ihr Leben oder ihre Freiheit fürchten müssen. Individuen (oder kleinere Menschengruppen) können sich überdies in anderen sozialen Umwelten völlig anders verhalten. Wenn wir ein afrikanisches
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