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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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übereinstimmen. Und weil diese niemals gleich bleiben, müssen die Gesetze den Menschen in ihrem Wandel folgen.« 10

Die Erzählung der Slums
    Wenn die zweite Transformation am Horizont dräut – die industrielle Revolution – bedeutet dies, dass in zunächst nur einigen Regionen die Produktivität radikal ansteigt. Menschen beginnen dann, sich zu bewegen, von den Dörfern in die Städte, von den Bergen in die Ebenen, von den Dschungeln und Savannen in die Ballungsgebiete hinein. Und zwar weitaus mehr Menschen, als die entstehende Arbeitsnachfrage verkraften kann.
    Dieser brutale Prozess fand vor 200 Jahren in Europa statt und erreichte seinen Höhepunkt Ende des 19. Jahrhunderts, als es auch in London, Berlin und Rom »Slums« gab – Elendsquartiere, in denen die Ärmsten der Armen unter extremen Bedingungen hausten.
    Unsere tiefe Skepsis gegenüber dem Fortschrittsprozess stammt vor allem aus dieser Erfahrung. Wie kann eine Entwicklung positiv sein, die Millionen, ja Milliarden Menschen aus ihren »natürlichen« Lebensbedingungen entwurzelt und sie als Rechtlose und Verelendete zusammenpfercht, mitten in stinkenden Müllhalden und Abwässerkanälen? In »Squatter Cities« leben heute weltweit fast eine Milliarde Menschen, und die Alarmisten werden nicht müde, die totale Verelendung und Verslumung der Menschheit zu prophezeien.
    Aber auch hier lohnt es sich, den Blickwinkel zu verändern. Der Begriff »Slum« assoziiert in unserer Vorstellung ein Bild von statischem Elend: Dort sitzen Menschen den ganzen Tag in Abfällen und vegetieren vor sich hin – nach der Matrix von europäischen Obdachlosen, die unter der Brücke schlafen. Doch langsam beginnen wir auch eine andere Realität wahrzunehmen. In seiner Studie »Shadow Cities« hat der amerikanische Journalist Robert Neuwirth die dynamische Seite der Slums beschrieben. 11 Slums sind Stätten der Ökonomie, des Handels, der Betriebsamkeit, des graduellen Aufstiegs. Echte Brutstätten des Wandels . Dabei ähnelt keine »Shanty Town« der anderen:

    Rocinha zum Beispiel, in Rio de Janeiro: eine Township mit festen Betonhäusern, der Stolz ihrer Bewohner. Drogen- und Gewaltkartelle strukturieren diese Gesellschaft, die es trotzdem oder deshalb zu enormen Wachstum und Komfortzuwachs gebracht hat. In den meisten Arealen von Rocinha gibt es heute Strom und fließend Wasser, Elektrizität, Kühlschrank und TV. 12
    Kibera in der kenianischen Hauptstadt Nairobi: Ein Slum mit rund einer dreiviertel Million Einwohnern, die von einem ungeheuerlichen »wheeling und dealing« leben – Kreativität auf höchstem Niveau, aber mit sehr schlechter Ausgangsbasis, denn die kenianische Wirtschaft ist immer noch schwächer und rückständiger als die Volkswirtschaften Asiens oder Südamerikas.
    Manhiet Nasser, ein 1-Million-Einwohner-Viertel inmitten Kairos, in dem Nägel, Möbel, Souvenirs, Schuhe, Hemden und Hosen für die Touristen produziert werden. Hier stehen Glasöfen, Aluminiumschmelzen, Webstühle, man lebt in Eigentum oder Untermiete und »man findet niemanden, der sagt, es gehe ihm schlechter als seinen Eltern«. 13
    Schließlich Dharavi, Bombays Riesenslum, Schauplatz des Film-Welterfolgs »Slumdog Millionaire«. Die Bewohner von Dharavi empörten sich über diesen Film. Nicht weil sie es für einen sozialen Skandal hielten (wie europäische Intellektuelle meinten), dass mit einem »Film über Elend« Geld verdient wurde. Sondern weil sie sich in ihrer Würde missachtet fühlten, weil der Slum als ein Schauplatz religiöser Konflikte anstatt als Produktivitätsstätte dargestellt wurde.
    Wer Dharavi mit wachen Augen betritt, wird zunächst den Müll, die Exkremente, die Abwässer in den Straßen wahrnehmen. Aber wer noch einmal hinschaut, sieht die expandierende Mikroökonomie dieses 1-Million-Menschen-Chaos. Männer in Unterhemden hämmern, feilen, sägen unter sich ständig drehenden Ventilatoren. Snackstände, Bäckereien, Läden mit CDs reihen sich aneinander, inzwischen gibt es auch mehr und mehr öffentliche Bezahlbedürfnisanstalten mit Duschen. Frisch getöpferte Vasen,
Schalen, Teller liegen zum Trocknen an den Wänden gestapelt. Ganze Straßenzüge widmen sich dem Recycling der umgebenden Müllkippen. Granulate, Metalle, Kabel, alles in fein sortierten Stapeln. Überall winzige Schulen, in denen Kinder in Schuluniformen zu sehen sind. Das Innere der meisten Hütten ist nicht selten schön beleuchtet, mit Öllampen, Kerzen oder elektrischem Licht. Fast alle

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