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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
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(WDM), entwickelt von Axelrods Kollegen Anatol Rapoport. Rapoports Programm eröffnete mit einem »Vertrauenszug« und echote dann stur bei jedem Zug den Zug des Gegenübers. 10 In Alltagsregeln übersetzt:
    Sei nie der Erste, der nicht kooperiert!
    Reagiere immer wie dein Gegenüber!
    Sei nicht zu schlau!
    Sei nicht neidisch!
    Aber lass dich nicht über den Tisch ziehen!
    Martin Nowak und Karl Sigmund nahmen in den frühen neunziger Jahren Axelrods Ansatz auf. Sie ließen das Spiel von »Agenten« im Computer spielen und machten daraus einen Kurvenverlauf, der die Stabilität und »Fitness« bestimmter Strategien im Verlauf visualisiert. Steigt die Kurve, werden Gefängnisjahre optimal vermieden. Übertragen auf die Wirklichkeit: Der soziale Kooperationspegel steigt. 11

    Abb. 17: Die Evolution der Kooperationsstrategien versus Verrat: Die »Wie-du-mir«-Strategie gewinnt und stabilisiert das System nach circa 150 Spielzügen.

    Zu Beginn einer Gefangenendilemma-Sequenz, die mit lebendigen Teilnehmern gespielt wird, dominieren meist die Verratsstrategien. Das spontane »Ich bin doch nicht blöd« testet zunächst einmal den schlimmsten Fall: Man glaubt nicht, dass der Mitgefangene in dieser Situation auf den Verratsvorteil verzichten könnte. Doch nach rund 150 Runden des Spiels dominiert sowohl in »realen« Runden (mit menschlichen Spielern) als auch in computersimulierten die alttestamentarische Wie-du-mir-so-ich-dir-Strategie. Darin spiegelt sich so etwas wie die erste gesellschaftliche Regel, auf die sich Menschen einigen konnten: vorsichtige Kooperation, wenn auch der andere kooperiert.
    Bald stießen Nowak und Sigmund allerdings auf eine Grenze ihres Spielsystems. Die Überlegenheit der Wie-du-mir-Strategie war nur unter perfekten Ausgangsbedingungen gewährleistet – keine Missverständnisse, keine Störungen, keine Zufälle. Aber die Wirklichkeit funktioniert anders. Und deshalb bauten Nowak und Sigmund nach und nach Fehler (Mutationen) ein. Sie ließen einige Agenten ab und zu eine abweichende Strategie spielen, so wie Außenseiter in menschlichen Gemeinschaften bisweilen die Grenzen der Regeln testen. Sie erhöhten das »Rauschen«, wie in komplexen Biotopen, wo mehr Mutationen und schnellere Adaptionen stattfinden. Oder bei komplizierten politischen Verhandlungen, wo durch Übersetzungsschwierigkeiten oder Nervosität manchmal Missverständnisse entstehen (man denke an das wunderbare Chaos beim Fall der Berliner Mauer, als der Sprecher der DDR-Regierung, Schabowski, vor lauter Schusseligkeit das Ende des ostdeutschen Staates einläutete).
    In einer solchen turbulenteren Umwelt erwies sich die WDM-Strategie plötzlich als weniger erfolgreich. Da sie auf jede Abweichung mit sofortiger Kündigung der Kooperation reagierte, brach die Stabilität des Systems ständig zusammen. Besser behauptete sich nun eine erweiterte WDM-Strategie, WDM generös, die zweimal einen negativen Zug hinnimmt, bevor sie negativ reagiert. In dieser Variante manifestiert sich eine menschliche Haltung, die wir in allen
komplexeren Kulturen vorfinden: Verzeihen . Diese Steigerungsform des Vertrauens ist ein wichtiger Stabilisator gegen den »Terror der Angst« (das Christentum hat diese Wahrheit früh erkannt). 12
    Nowak und Sigmund experimentierten nun mit weiteren »Abweichlern«. Hier eine unvollständige Übersicht:
    WDM generös – Das WDM-System verzeiht zwei negative Züge und reagiert erst negativ beim zweiten.
    WDM revers – Der Agent akzeptiert einen negativen Zug, wenn er selbst vorher negativ reagierte (er akzeptiert gewissermaßen eine Bestrafung, wie in einem menschlichen Rechtssystem).
    Böser Killer – Ein System, das nur einen Zug lang kooperiert, nach nur einem negativen Zug des Gegenübers jedoch von nun an immer negativ reagiert, egal was passiert.
    Smarter Killer – Ein System, das erst nach zwei negativen Zügen für immer negativ reagiert.
    Pawlow - lernender Opportunismus. Eine adaptive Strategie, die »kalte« strategische Elemente beinhaltet. Es wird nur kooperiert, wenn das bei den letzten zwei oder drei Zügen zu Erfolg geführt hat – ansonsten wird gnadenlos auf Verrat geschaltet. Und umgekehrt: Wenn Nicht-Kooperation dauerhaft nichts bringt, schaltet Pawlow auf Kooperation …
    Stellen wir uns nun vor, alle diese Strategien würden gegeneinander antreten – alle Schurken und Killer und Kooperateure in einem Spiel.

    Abb. 18: Kooperationsniveaus im simulierten Gefangenendilemma über 100 000

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