Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Horx
Vom Netzwerk:
Fortschritt. Wie heißt es so schön in Goethes Faust? »Ich bin die Kraft / die stets das Böse will / und doch das Gute schafft.«
    Und damit kommen wir zu einer Erkenntnis von enormer Bedeutung:
    Nicht jeder einzelne Akteur in einem System muss sich intelligent und kooperativ verhalten, damit das ganze System intelligente und kooperative Ergebnisse erzeugt!
    Und in der Folge:
    Jedes System braucht ein gewisses Ausmaß an Störungen, um sich dynamisch stabilisieren zu können!

Connectivity – Die Macht der Netzwerke
    Sie befinden auf einer Party. Vierzig Personen sind anwesend, die sich allesamt nicht oder kaum kennen. Plötzlich springt jemand auf einen Stuhl und schreit:
    ALLE MAL HERHÖREN! Ich wette 1000 Euro, dass in diesem Raum mindestens zwei Menschen am gleichen Tag Geburtstag haben! Wer wettet dagegen?
    Nehmen wir an, der Rufer ist ein Fremder und Sie könnten ausschließen, dass er die Geburtsdaten auch nur von zwei der Anwesenden kennt. Wäre diese Wette lohnend? Bei 40 Leuten im Raum und 365 Tagen im Jahr hört sich die Gegenwette wie eine sichere Bank an. Doch Sie werden, falls Sie einschlagen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verlieren. 14
    Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen in einer zufälligen Menge ein Geburtsdatum teilen, überspringt bereits bei 23 Personen die 50-Prozent-Hürde. Ab hier würde sich eine Wette also locker lohnen.

    Anzahl der Personen
Wahrscheinlichkeit eines »Geburtstagspaars«
10
11,7 %
20
41,1 %
23
50,7 %
30
70,6 %
50
97 %
57
99 %
100
99,999 %
367
100 %
    Die Wahrscheinlichkeit für zwei gleiche Geburtstage bei 40 Personen liegt also bei über 80 Prozent. Aber warum wissen wir das nicht spontan?

    In einer Gruppe von fünf Menschen sind die Verbindungen untereinander überschaubar, 25 ergeben sich, wenn wir alle möglichen Konstellationen zeichnen.
    Bei zehn Personen steigt die Zahl der möglichen Verbindungen auf 45 Verbindungen.
    Bei 40 Personen müssen wir 1600 Verbindungslinien ziehen, um alle Möglichkeiten abzubilden.

    Abb. 20: Die möglichen Verbindungen bei unterschiedlichen Zahlen von Teilnehmern
    Warum tun wir uns so schwer mit dieser gar nicht so hohen Mathematik? Menschen sind evolutionär geprägt, sich auf kleine Verwandtschaftsgruppen zu beziehen. Solange wir jedes Mitglied unserer Sippe, unseres Clans, unseres Stamms noch beim Namen kennen (und wissen, dass Acht-Morgen-Mund vor drei Jahren von einer Schlange gebissen wurde und deshalb humpelt), fühlen wir uns in einem sinnhaften Beziehungsverhältnis.
    Verantwortlich ist auch unsere »Normeinstellung«, die uns stets von uns selbst aus denken (und unbewusst rechnen) lässt. Wir schätzen unsere individuelle Chance ein, mit den anderen 39 im Raum einen gemeinsamen Geburtstag zu haben, und hier wäre das Ergebnis in der Tat rund 1: 8 (365 dividiert durch 39).
    In diesen Wahrnehmungsmustern liegt womöglich der Grund für unsere Verwirrung gegenüber dem Wandel, den wir heute im
Übergang von der alten, überschaubaren Industriegesellschaft zu einem elektronisch vernetzten Hypersozialraum erleben. Buchdruck, Radio und Fernsehen, die alten »One-to-many«-Medien, strukturieren die soziale Umwelt durch Sender-Empfänger-Strukturen, die sich unserem tribalen Stammhirn noch leicht erschlossen. Nun verändert die kulturelle Querschnittstechnologie des Internets so gut wie alle Spielregeln. Zumindest ahnen wir, dass das so kommen wird, wenn wir unsere Kinder und ihren Umgang mit elektronischen Medien beobachten. Man kommuniziert simultan auf mehreren Ebenen mit mehreren Multioptionssystemen. Man verabredet sich nicht mehr zu einer bestimmten Uhrzeit, sondern flexibel (»geh schon mal los, ich SMSe, ob ich dann auch komme«). Aus räumlich, zeitlich und hierarchisch geordneten sozialen Verhältnissen entstehen Schwarmlogiken. Aus Plänen und Operationen entwickeln sich spontane Kooperationen, die alte Strategien zerstören.
    Der Physiker Philip Anderson brachte diesen Netzwerkeffekt auf die Formel: »Mehr ist Anders!« Interaktive Mediensysteme verändern die Spielregeln, indem sie zunächst einmal die Anzahl der möglichen Spiele stark erhöhen. Sie hebeln tendenziell die Hierarchien aus, die die Zahl der Spieler auf dem sozialen Spielfeld kanalisierten. Ob in der Partnerschaftssuche oder in der Berufswahl, im Gestalten unserer Freundschaften oder der Organisation unserer Leidenschaften: Die Wahlmöglichkeiten steigen nicht nur »ein bisschen« oder »graduell«. Sie explodieren! Es liegt auf

Weitere Kostenlose Bücher