Das Buch des Wandels
Die Zerstörungen und Diebstähle gehen langsam zurück.
Um menschliche Kooperationssysteme zu stabilisieren, benötigt es Regeln, Straf- und Kontrollsysteme. Die Dinge müssen, wie
viele Beispiele zeigen, etwas kosten. Aber wenn wir die menschlichen Kooperationssysteme weiterentwickeln wollen, benötigen wir neue Werkzeuge. Rückkoppelungsinstrumente, in denen die intrinsischen Motive der »Spieler« besser abgebildet werden können und die eine Tendenz zur Autopoiese stärken – zur Selbststeuerung und Selbststabilisierung. Die Commons, die öffentlichen Wiesen, können nur zum Wohle aller blühen, wenn wir neue, intelligente Feedback-Schleifen entwickeln. 16
Als eBay wenige Jahre nach seiner Gründung von Betrügern geradezu überrannt wurde, reagierte es nicht mit den üblichen Zugangskontrollen. Es forderte seine Kunden auf, ständig die Händler zu bewerten. Die Daten wurden dann für ein permanent aktualisiertes Rankingsystem genutzt. EBay schuf auf diese Art ein Selbstregelungssystem, das nicht nur die Betrüger automatisch »ausweist«, sondern auch noch die »guten« Händler mit immer mehr Kunden belohnt.
James Watt entwickelte die Dampfmaschine von einem klobigen Explosionsapparat zu einer Welttechnologie, indem er neben einer Unterdruckkammer ein zentrifugales Regelungsventil einbaute. Dieses Steuersystem verhinderte verlässlich, dass die Umdrehungsgeschwindigkeit über einen bestimmten Wert anstieg – ein simples Rückkoppelungssystem. Wenn die Drehzahl einen bestimmten Wert erreicht, öffnet das Ventil sich automatisch, kühlt den Dampf und senkt die Geschwindigkeit der Kolben.
Wenn uns in unserer WG nur auch so etwas eingefallen wäre!
Die Werkzeugkiste des Wandels
Wir haben in den bisherigen Kapiteln den Wandel als Spiel und als Prozess, als Dynamik und als Stasis betrachtet. Wir haben versucht, dynamische Systeme in ihren gesellschaftlichen, psychologischen, wirtschaftlichen, spieltheoretischen Dimensionen zu durchdringen. Langsam schälen sich Grundregeln heraus.
Zunächst: Wandel findet nicht »zwanghaft« statt, als vorgefertigtes Programm, dem Menschen, Gesellschaften, Ökonomien folgen müssen. Obwohl es Epochen, Situationen, historische Knotenpunkte gibt, in denen Veränderung sich schubweise beschleunigt – wie in der Chrysalis-Phase des Schmetterlings -, bleiben die meisten Formen des Wandels langsam, graduell. Hier zeigen sich die Gesetze der biologischen Evolution: In äonenlangen kleinen Veränderungen der Natur bildeten sich die Voraussetzungen für Algen, Einzeller, Organismen, Hirne. Im langsamen Wirken der zufälligen Abweichungen, im Experiment mit Koppelung und Rückkoppelung, entstehen die Grundlagen für die nächste Stufe der Gesellschaftsorganisation. Erst wenn eine Menge systemischer »Passungen« entstanden sind, kann das System auf eine Stufe höherer Komplexität springen. Es kann, muss aber nicht.
Stellen wir uns jetzt eine Kiste vor. Eine Werkzeugkiste des Wandels, in die wir gut geordnet unsere Wandel-Tools einordnen.
Ganz unten in der Kiste lagern die großen, schweren Geräte unseres anthropologischen Erbes. Die Reflexe, Instinkte, dazu genealogische Verbindlichkeiten, evolutionär gewachsene Codes: »Behandele deine Verwandten bevorzugt!«, »Kämpfe um dein Territorium!«, »Kooperiere mit Leuten, die ähnlich sind wie du!«, »Renne vor Drachen und anderen großen Tieren davon! Oder bringe eine große Menschenmenge dazu, gemeinsam gegen sie zu kämpfen.«
Gleich darüber liegen die kulturellen Werkzeuge: die erlernten Verhaltensmuster, die erprobten Kommunikationen: »Einige dich auf einen Kontrakt!«, »Red mit ihm / ihr!«, »Schließe einen Kompromiss, wenn die Vorteile daraus größer sind als aus Totalverlust!«, »Versuche, die Regeln in deinem Sinne zu verbessern! Wenn du alleine nicht weiterkommst, suche dir Hilfe in Institutionen, neutralen Dritten, mächtigen Verbündeten«.
Ganz oben schließlich das Kleinzeug: die Nägel und alten Dübel unserer Wünsche und Träume, der Leim unserer sozialen
Gewohnheiten. Das ganze Zeug, das sich zufällig und nicht immer sehr geordnet hier angesammelt hat. Die Daumenregeln, mit denen wir das Leben bewältigen. Die Tricks, aber auch die Schönheiten und Verrücktheiten, mit denen wir versuchen, noch etwas mehr herauszuholen. Das Lachen, das Weinen und all der Rest.
Mit diesen Gerätschaften bearbeiten wir ständig unsere Umwelt. Dabei kommen uns immer wieder Instrumente abhanden, sie brechen ab oder
Weitere Kostenlose Bücher