Das Buch des Wandels
werden stumpf. Aber wir sind einfallsreich und erfinden immer neue Tools, flicken hier das eine, kombinieren das andere. Wandlungsprozesse sind nicht zuletzt aus Fehlern geboren. Wir kommen fast nie dorthin, wo wir hinwollten. Aber das liegt nicht daran, dass Menschen »nun einmal so sind« – böse, dumm oder unfähig. Sie vergreifen sich nur öfters in der Werkzeugkiste. Sie benutzen den schweren Hammer, wenn es der kleine Schraubenzieher tun sollte. Sie nehmen die Säge, statt den intelligenten Kleber einzusetzen. Sie benutzen das Brecheisen, wenn ein feines Instrument die bessere Wahl wäre.
»Leben lässt sich definieren als ein auf dem ›Prinzip Eigennutz‹ basierender Prozess der Selbstorganisation«, schreibt Michael Schmidt-Salomon in seinem »Manifest des Evolutionären Humanismus«. Das ist genau die Botschaft, die wir aus der Spiel- und Systemtheorie, aber auch aus der Evolutionsbiologie gewinnen können: Positiver Wandel entsteht nicht nur aus Tugenden und strikten Ordnungen, sondern aus Chaos, aus Emergenzen und Improvisationen, die sich selbst stabilisieren. Wir können lernen, unsere Werkzeugkiste besser zu sortieren, ohne dass wir für alles ein perfektes Instrument haben müssen. Ich möchte diesen Faden nun in die Zukunft weiterspinnen. Dafür müssen wir vor allem die richtigen Fragen stellen:
• Auf der Basis welcher sozialen, ökonomischen Grundlagen und Regelsysteme können wir uns besser zum »sanften kooperativen Tier« weiterentwickeln, das wir ohne Zweifel auch sind?
• Welche Korrekturinstanzen können wir einrichten, welche Kontroll- und Regelsysteme? Wie können wir Leitplanken so aufstellen, dass die chaotischen Prozesse der menschlichen Evolution weniger zu fatalen Brüchen führen?
Gelungener Wandel ist das Resultat klug geführter Spiele mit differenzierten Regeln und lernenden Schiedsrichtern. Und diese Schiedsrichter sind wir selbst.
9 DIEKREATIVE KONOMIE
Wie die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts funktioniert
Die zentrale Frage großer Organisationen ist nie Strategie, Struktur
oder Kultur. Der Kern des Geschäftserfolges liegt in einer einzigen
Frage: Wie ändert man die Verhaltensweisen von Menschen?
John Kotter
Darum geht es bei der Neuen Ökonomie: die Ausweitung der
Möglichkeiten, Chancen und Fähigkeiten des Individuums, die
Schönheit ständiger Innovation und die transzendierende
Energie von Informations- und Kommunikationstechnologien.
»Fast Company«, Ausgabe September 2001
Die Wirtschaft ist kein geschlossenes Gleichgewichtssystem, sondern ein offenes Ungleichgewichtssystem, ein komplexes adaptives System.
Eric D. Beinhocker
Detroits Botschaft
Vor rund einem Jahrhundert, anno 1911, war die Buick-Fabrik in Flint im amerikanischen Bundesstaat Michigan das unbestrittene Zentrum des modernen Kapitalismus. 8000 Arbeiter produzierten in der bestorganisierten Fabrik der Welt auf 230 000 Quadratmetern Fläche die besten Autos der Welt. Jeder von ihnen führte genau bemessene, getaktete, geführte Handgriffe aus, um die »Wunder der Autokunst« in »unvergleichlicher Qualität und Präzision« herzustellen. In riesigen, lichtdurchfluteten modernen Hallen, auf deren Boden »kein Staubkorn für Verwirrung sorgte«. In einem Prospekt des Unternehmens hieß es:
»Viele Millionen an Wert sind hier zu sehen: Tausende von arbeitssparenden Maschinen, eine halbe Million Werkzeuge, Werkbänke, Büros, Designräume, Musterwerkstätten, Färbereien, Ölbäder, Heißluftöfen, Polsterwerkstätten, Chemielabore, eine Fabrik für Graueisen, ein Presswerk, eine Schneiderei, eine Reifenfabrik, ein Achsenwerk, Aluminiumwerk, Mühlwerke, Kraftwerke. Jedes Teil ist austauschbar, exakt gleich wie alle anderen Teile seiner Art. Sogar die Schrauben und Muttern werden hier gegossen und gefertigt. Diese Fabrik repräsentiert die höchste Form der Standardisierung! Es ist ein Faktum, dass an einem Buick-Auto jedes Teil aus der eigenen Fabrik stammt!« 1
Von dieser »homebase« trat die amerikanische Automobilindustrie ihren Siegeszug um die Erde an. Die Flint-Fabriken waren die Keimzelle von General Motors, dem größten Autokonzern der Welt. Die Gebäudekomplexe wuchsen, bis um das Jahr 1960 der Höhepunkt erreicht war. 200 000 Menschen lebten nun in der Industriestadt Flint (20 000 am Anfang des 20. Jahrhunderts), fast 50 000 Menschen fanden ihr Auskommen in den »plants«. Erfolgreiche Streiks und starke Gewerkschaften brachten die Löhne einfacher Automobilarbeiter in
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