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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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immer so?«, fragt sie dann. »Oder hat dich Gerds Spezialparty so ruiniert?«
    »Du wurdest vermisst bei dieser Party«, sage ich.
    »Pff, ich habe bittere Tränen vergossen, dass ich nicht da war.«
    »Hm. So ist es mir immer bei Familienfesten gegangen.«
    »Mit denen habe ich kein Problem«, sagt sie und sieht mich missbilligend an. »Außer, dass sie in Dresden stattfinden.«
    Als wir die Straße überqueren, gibt sie sich alle Mühe, den Abstand zwischen uns zu wahren. Erst als ein imposantes Gebäude vor uns auftaucht, denke ich daran, sie nach unserem Auftrag zu fragen.
    »Aufbewahrungskisten«, sagt sie. »Um den Kiosk wegzupacken.«
    In meinem Magen rumort es.
    Was da vor uns aufragt, ist Ikea.
    Der Laden ist riesig, ein FLUGHAFEN für Produkte. Allein um den Parkplatz zu überqueren, brauchen wir gefühlte Stunden. Mein Herz schlägt nur noch schwach, als der Schatten des Gebäudes auf uns fällt, und unser Gespräch verläuft im Sand, während ich nach Notausgängen und Fluchtorten Ausschau halte. Links vom Eingang, wo Horden ameisenartiger Käufer mit ihren Waren auf- und abwogen, erstreckt sich wie an einer Landesgrenze ein Wall aus Kassen ins Unendliche. Dort geht es nur raus. Türen zur Rechten führen in eine Eingangshalle mit einem Fahrstuhl, der ein Stockwerk nach oben fährt, wo wir in einen gekennzeichneten Kanal geraten, der sich durch Fluten von Möbeln und Hausrat windend in der Ferne verliert. Mir bricht kalter Schweiß aus. Der Weg führt durch Untiefen, Wogen und Ströme elementarer Einrichtungsgegenstände, vorbei an Schöpfkellen und Regalen, Töpfen, Kissen, Sofas und Tischen.
    Alles bewegt sich nur in eine Richtung. Ich fühle mich zunehmend unwohl.
    »Ich glaube, ich gehe mal schnell auf eine Zigarette raus.« In einer Ansammlung von Badezimmerlösungen bleibe ich stehen, in einer Art Nebengewässer abseits des Gezeitenstroms. Auch zwei andere Ladenbesucher strudeln kurz hierher, werden aber bald in tiefere Möbel weitergespült. Ich sehe zu, wie sie in einem Treibgutstrom aus Getränkehaltern, Seifenschalen und Mülleimern hinweggequirlt werden.
    »Was ist los mit dir?«, fragt Anna spöttisch.
    »Es kommt mir so vor, als wären wir schon meilenweit gelaufen.«
    »Pff – wir sind noch nicht mal halb durch.«
    Ein Akteur auf meiner inneren Bühne kippt tot um. Eisige Panik lässt alles um mich herum rotieren, ich mache kehrt und fliehe, zurück und vorbei an Schöpfkellen, Bücherregalen und Sofas, bis ich mit dreschflügelartig rudernden Armen kopfüber auf den Fahrstuhl zustürze.
    Aber die Türen sind geschlossen. Es gibt keinen Abwärts-knopf.
    Über das Geländer hinweg kann ich durchs Fenster die Welt sehen, Leute, die draußen in Freiheit umhergehen, plaudern, rauchen.
    Doch für mich gibt es kein Entkommen.
    Der Laden ist ausbruchssicher entworfen worden.
    Ich atme durch. Ein Schwede hat mich in einem Möbelmarkt gefangen. Verkatert. Irgendwo weit weg hat ein boshafter, in Kaschmir gekleideter Agent des Master-Limbus diese Menschenfalle perfektioniert. Für ihn sind wir Ratten, Profiteinheiten von so dürftigem Wert, dass er Einweg-Aufzüge für angebracht hält, für den Fall, dass besseres Wissen eine der Ratten dazu verleitet, dem Labyrinth nicht bis zur Kassenschleuse folgen zu wollen.
    Es ist ein Shopping-Laboratorium. Ein Gehege menschlicher Schwäche.
    Das Werk von Kräften, die in ihrer Gier nach Gewinn vor nichts zurückschrecken.
    Und das in Berlin! Der Stadt des Volkes! Der Schmerz wird zu groß. Wenn sie sich schon bis hierher ausgebreitet hat, diese Infektion – dann muss sie wirklich überall sein.
    Ich sehe mich nach Leichen um. Unmöglich, dass jede Ratte kräftig genug gewesen ist, das hier durchzustehen. Dann stürze ich zurück durch das Kaufhaus, passiere Meilen nordischer Kiefer und lege mich vorsichtig in die Kurven, bis sich das Erdgeschoss vor mir öffnet wie eine Hafenmündung. Vor mir am Ufer rollen Einkaufswagen über im Chaos versinkende Kaianlagen, und ich bewege mich auf den dahinterliegenden Damm aus Kassen zu. Eine wundersame Kraft treibt mich dorthin, meine Schritte werden länger, meine Arme arbeiten wie Kolben, mein Blick schießt pfeilschnell nach links und rechts, um die kürzeste Schlange ausfindig zu machen.
    Aber es gibt keine kürzeste.
    Die Kassen sind verstopft mit transportfähigen Verwundeten.
    Ich husche hierhin, ich husche dorthin, aber meine Hände sind leer, die Verbraucher verstehen meinen Mangel an Waren nicht, das hier ist

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