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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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herrlichen Nahrung weiter die Straße hinauf. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass eine verwahrloste Person bei Passanten im Normalfall Misstrauen und Angst auslöst, nicht aber, wenn sie Schokoladenmilch in der Hand hat. Die Angst ist nur natürlich: Verwahrloste Typen können betrunken und psychotisch sein, quatschen einen mit hoher Wahrscheinlich blöd an oder werden schlagartig unverschämt; bestimmt tun sie das nur der eigenen Sicherheit zuliebe – damit alle anderen einen weiten Bogen um sie machen. Aber da das Auge des Passanten bei einem Verwahrlosten immer nach Alkohol oder Drogen Ausschau hält, kann es aufs Erfreulichste beruhigt werden, wenn es stattdessen Schokoladenmilch entdeckt. Bewehrt mit dieser urbanen weißen Fahne setze ich also meinen Weg den Mehringdamm hinauf zum Flughafen fort.
    Als ich mich dem Cateringmobil nähere, sehe ich, dass daneben zwei weitere Hänger parken. Der eine ist vollständig mit Spiegelglas verkleidet. Da sich Gottfrieds Hut nirgendwo zeigt, gehe ich weiter zur Abflughalle. Als ich die Treppenstufen erreiche, kommt Anna in ihrem Mantel herausgeeilt:
    »Gerd ist weg«, sagt sie. »Ich gehe in der Piratenburg nachsehen – kannst du Gottfried suchen?«
    »Was? Klar – was ist denn los?«
    »Gerd hat seine Klage wegen der Party nicht durchgekriegt. Jetzt schuldet er einem Anwalt vierhundert Euro, und sein Auto ist verschwunden. Er sah nicht gut aus, als ich ihn zuletzt gesehen habe, und ich hab Angst, dass er eine Dummheit macht. Er nimmt sich das alles viel zu sehr zu Herzen.«
    »Das tut mir leid. Und wo finde ich Gottfried?«
    »Warst du noch nicht bei ihm zu Hause? Die kleine Fahrradwerkstatt um die Ecke von der Piratenburg. Sieh doch mal nach, ob er irgendwas weiß, und dann komm zu mir nach Hause, ich bin dann dort und telefoniere.«
    »Und wo wohnst du?«
    »Großbeerenstraße, direkt neben der Piratenburg, dritter Stock.«
    Ich finde Gottfrieds Laden im Erdgeschoss eines alten Wohnhauses. Hinter einem eingestaubten Fenster liegen Fahrradteile herum. Der Laden sieht geschlossen aus, aber kurz nach meinem Klingeln kann ich Gottfrieds massige Gestalt im Inneren ausmachen. Erst öffnet er die Tür nur ein paar Zentimeter weit, wobei er irgendwas in der Nähe seiner Füße beäugt. Dann beugt er sich ächzend hinunter und befördert ein rotbraunes Kätzchen nach oben:
    »Komm rein – die hat mehr Mut als Verstand.«
    Mit einem dicken Finger streichelt er die Katze und hält mir die Tür auf. An der Wand entlang reihen sich Dutzende Bierflaschen. Auf einem Tisch im hinteren Teil des Raums entdecke ich als Erinnerung an Gerds Party eine leere Marius-Flasche. Der Geruch von Kettenöl und ungewaschener Wäsche schlägt mir ins Gesicht. Gottfried aber ist wie aus dem Ei gepellt, seine Haare sind gekämmt, er trägt ein kariertes Flanellhemd. Während er umherschlurft und das Kätzchen streichelt, grummelt er vor sich hin: »Wo ist denn das schon wieder? Hier – ach nein, das ist das andere.« Für mich beginnen sich währenddessen Umrisse in der Unordnung abzuzeichnen. Gerätschaften hier und da und seine Erfindungen. Inmitten der Fahrradteile entdecke ich eine aus einem Rad gemachte, drehbare Schuhaufbewahrung, durch die Tür kann ich neben einem Bett eine kleine Vorrichtung sehen, die eine Zigarre mit einem Reisewecker kombiniert.
    Er ertappt mich beim Hinschauen. »Gefällt’s dir? Ein Zigarrenwecker – weckt mich jeden Morgen mit einer angezündeten Zigarre. Hinten habe ich auch noch einen Bierwecker, aber nur für besondere Anlässe.« Er redet und kruschtelt, seine Augen leuchten. »Ach ja«, – endlich bleibt er stehen und sieht mir ins Gesicht – »heute kümmern wir uns ein bisschen um Specht, nur damit du dich nicht wunderst. Er hat es im Moment nicht so einfach und keine echten Freunde. Deswegen sollte er mal wieder einen trinken, aber auch nicht zu viel, du verstehst, was ich meine.« Er geht zu einem Schrank in der dunkelsten Ecke und zieht eine knarzende Schublade auf, der er eine in ein Küchentuch gewickelte Bierflasche entnimmt. Er wickelt sie aus, wobei er mit ihr umgeht wie mit dem Erinnerungsstück aus einer umtriebigen, aber längst vergangenen Jugend. »Hier«, sagt er. »Lass uns die mitnehmen und mal am Flughafen nachsehen.«
    »Hast du aus der Schublade von deinem Kleiderschrank einen Kühlschrank gemacht?«
    »Ah.« Er zwinkert. »Komm, steck einfach das Bier ein.«
    Vorbei am Viktoriapark laufen wir zum Mehringdamm, und irgendwann sagt er

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