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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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ist die Grundgleichung – so funktioniert der Master-Limbus. Er lässt uns auf unseren Schulden sitzen, während wir eine Bedingung nach der nächsten erfüllen, weil er uns immer wieder Erlösung verspricht.
    Aber sind der Baske und Thomas überhaupt Teil des Masters? Oder sind sie nur Piraten, die um des Abenteuers willen seine Randwellen reiten?
    Das ist die Crux meiner Lage: Wenn ich den beiden trauen kann, sollte ich dem Bankett in gutem Glauben beiwohnen, schon Smuts zuliebe. Aber wenn ich ihnen nicht vertraue, sollte ich noch heute Abend einen See finden.
    Meine Gedanken führen mich weiter, hin zur Natur der beiden Welten, zwischen denen ich stehe – und die ich bald hinter mir lassen werde. Ich habe mich in zwei Bereichen bewegt, in einer Überwelt und einer Unterwelt, und mich in beiden als nutzlos erwiesen. Angesichts der im Laufe dieser Odyssee gesammelten Beweise glaube ich sagen zu können, dass die Unterwelt eher meine Welt ist. Ich verbringe ein paar Augenblicke damit, ihr im Geiste meine Ehrerbietung zu erweisen. Jedes Geschöpf, denke ich, sollte in dem Wissen sterben, wohin sein Herz gehört.
    Dieser Gedanke bringt mich auf Anna, Gottfried und Gerd.
    Erinnern Sie sich an Annas leeres Gesicht, mein Freund, das von keiner Anfechtung oder Überraschung aus der Fassung gebracht werden kann. Ich wünschte, ich hätte vor meinem Ableben die Kunst des Pokerface ähnlich perfektioniert. Die versöhnliche Ausdruckspalette des Engländers – das ständige Spiel der Augenbrauen, das Lächeln, die Entschuldigungen – mag einem in unserer entrationalisierten Zone den Tag erleichtern, aber ob das auch ökonomisch ist, darüber denkt man hier anders. Solange keine starke Reaktion gefragt ist, zeigt man einfach gar keine, und ich glaube, das spiegelt die Last des Lebens auch ehrlicher wider. In mir wächst der Verdacht, dass die Menschen hier gar nicht unbedingt mürrisch sind, sondern sich einfach nur selbst in Reserve halten. Ich muss an meine Ex-Freundin Sarah denken. Ihre Freunde kann sie eigentlich gar nicht leiden, aber sie passen eben in die Schablone derjenigen, die sie leiden können sollte, und haben zudem die richtigen Accessoires, also tut sie so, als würden sie ihr etwas bedeuten. Das hält sie für ihre Pflicht als Freundin. Ich denke auch an mich, der ich so getan habe, als könnte ich um ihretwillen ihre Freunde leiden, und an diese Freunde, die wahrscheinlich nur, weil es so aussah, als könnten wir sie so sehr gut leiden, so getan haben, als könnten sie uns leiden. Ich denke an alle, die ich kenne, daran, wie sie ständig nur so tun als ob. Wenn man nicht verbindlich ist, fragen die Leute gleich, was mit einem nicht stimmt. Das Problem dabei ist nicht etwa, dass man schlechte Laune hat, sondern dass man sie nicht überspielt. Das alles verhilft mir zu folgender Erkenntnis: Es ist unehrlich, vom Leben das Glück als Grundzustand zu erwarten. Wie konnte sich ein solcher Irrglaube in unser Denken schleichen? Wer profitiert von der Vorstellung, dass jeder nichtglückliche Zustand behandlungswürdig ist?
    Nur der Markt. Nur der Master.
    Das Telefon reißt mich aus meiner Versunkenheit.
    »Gabriel«, sagt Smuts. »Was geht ab? Ich ruf nur kurz durch, um zu sagen: Gib den Jungs auf keinen Fall den Raum, sieht aus, als hätten die uns gefickt.«
    »Was? Ich komme doch gerade vom Basken – er hat mir versichert, dass bei ihm alles in guten Händen ist.«
    »Mann: Das Einzige, was bei dem in guten Händen ist, ist sein Schwanz. Montag plädiert Satou erstmal auf schuldig. Er meint, das sei besser, als sich auf eine Diskussion über Fisch einzulassen.«
    »Hä? Aber wir haben doch noch einen Werktag, oder?«
    »Ach ja? Welchen denn?«
    »Morgen – heute ist doch erst Donnerstag.«
    Es entsteht eine kaugummiartige Pause, dann sagt er: »Putain, bei dir ist vielleicht Donnerstag. Aber nicht in Japan, hier ist schon morgen. Wünsch mir Glück, alter Freund. Wünsch mir Glück.«

22
    Der Oktoberhimmel über Kreuzberg ist eine Milchglasscheibe. Ich bin auf dem Weg zum Flughafen, um mich zu verabschieden. Das Endspiel zeigt nur noch in eine Richtung: Richtung Ende.
    Beim Vorbeigehen an einem Schaufenster bekomme ich mich selbst zu Gesicht. Meine Haut ist gelb, meine Haare hart wie Stroh. Würden Sie mich bitte mal ansehen: Die Kleider hängen an mir wie an einem Penner. Der Tribut, den der Limbus einfordert. In einem türkischen Imbiss kaufe ich einen halben Liter Schokoladenmilch und humpele mit dieser

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