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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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großartiger Koch geworden, obwohl sein Temperament ein Ausschlusskriterium für jeden herkömmlichen Arbeitgeber ist. Stattdessen stieg er hinab in die entlegenen Eingeweide der Feinschmecker-Unterwelt. Nach den gemeinsamen Kindheitssommern, in denen ihn seine Pateneltern aus Südafrika herüberbrachten, machten wir uns gemeinsam daran, Köche zu werden. Indirekt war mein Vater dafür verantwortlich. Mit den Überresten einer Überheblichkeit, die sich aus seiner Clubbetreiberexistenz in Berlin speiste, und mit wer weiß wo aufgetriebenem Geld tat er sich mit einem arroganten Kanadier namens Tattersfield zusammen und eröffnete ein Bistro auf der Kilburn High Road. Traurigerweise tauften sie es Coup de Gras . Dort ist nie etwas gekocht worden, das genug eigenen Charakter gehabt hätte, um den Geruch nach frischer Farbe auszutreiben, und sogar noch, als sie ihre widerwärtigen Pestos auftischten, hörte das Gezänk wegen des Namens nie auf. Sie lagen sich in den Haaren, ob die Schreibweise Coup de Grace genauso viel Aufmerksamkeit auf ihre Cleverness lenken würde wie Cup de Grace oder Coupe de Gras oder Ku-D-Gra , wie der aufgeblasene Schwachkopf Tattersfield gerade noch vorschlug, bevor er seine dämliche Freundin schwängerte. Damit setzte er ein plärrendes Maul namens Lovey auf die Gehaltsliste des Cafés – und versetzte seinem sowieso schon stark schwindenden Glück einen Schlag in den Nacken.
    Während dieser Zeit suchten Smuts und ich die Küche heim.
    Dort schossen unsere Träume aus dem Boden.
    Wir würden geniale Küchenchefs werden. Gastronomen würden angesichts unserer Kreationen in Tränen ausbrechen und sich in verzückter Verzweiflung umbringen. Wir träumten von einem Restaurant: Nimbus , benannt nach der Aura, von der Heilige umgeben sind. Unsere Gerichte würden nämlich Heiligenscheine um unsere Gäste leuchten lassen. Unser Lokal würde kein Schild haben, man würde seinen Namen nur im Flüsterton weitergeben. Es würde hinter verschlossenen Türen existieren, Pärchen würde der Einlass verwehrt. Nachdem sie ihren letzten Willen unterschrieben hätten, sollten die Restaurantgäste auf Tiefseeanglerstühle geschnallt und in Leinentücher gehüllt werden, mit denen sie ihre Tränen trocknen könnten.
    Wir veranstalteten einen derartigen Aufstand, dass unsere Väter uns auf die Restaurantfachschule schickten.
    Aber schon nach einer Woche war klar, dass ich nur Allüren hatte, aber keinerlei Talent. Außerdem war ich zaghaft im Umgang mit Messern und offenem Feuer. Diese Ohrfeige der Wahrheit beendete meine Zeit auf der Kochschule. Ich schlich nach Hause, um meinem Vater bei der Bestätigung meiner Nichtsnutzigkeit unter die Arme zu greifen; einer Aufgabe, der wir uns gemeinsam mit der Hingabe von Modelleisenbahnliebhabern widmeten.
    Smuts hingegen war tatsächlich genial. Für ihn war ein Nahrungsmittel ein alchemistisches Element. Vor Aufregung zitternd drückte er sich um die Lebensmittel herum und ließ seine Sinne auf sie los, und kein Quäntchen Fleisch und kein Stängelchen Gewürz konnte sein Geheimnis für sich behalten. Klingen blitzten wie Sonnenlicht in seinen Händen. Dann kam und ging die Stunde seiner Abschlussprüfung – ohne ihn. Sein Fehlen wurde seinem Temperament angelastet, das zu diesem Zeitpunkt bereits als klimatologische Größe an der Schule bekannt war. Aber im Anschluss an die eigentliche Prüfung bekamen einige ausgewählte Mitschüler und Dozenten eine Einladung in ein Krematorium. Smuts hatte zwischen zwei Bestattungen zwanzig Minuten Brennzeit gebucht und dort, während die Prüfung lief, ein Milchferkel, das dem Bauch einer Sau direkt und unbeeinflusst vom Stress der vaginalen Geburt enthoben worden war, bis zur Perfektion blasig gegrillt. Als die Klassenkameraden eintrafen, war Smuts nicht mehr da – aber das unter einer Servierhaube dampfende Ferkel schon.
    Zurück in der Schule öffneten sie das Tier und häuften zunächst Hohn und Spott auf Smuts, weil alle Organe noch drin waren. Dann sah einer der Dozenten, dass die Bauchhöhle mit Pasteten ausgefüttert war. Der Darm bestand aus einem Wildnuss-Black-Pudding, die Leber aus einem Foie-Gras-Haggis, die Nieren waren Butternusskürbis-Ravioli, alles anatomisch exakt nachgebildet. Und als sie die Blaumais-Teigtasche tranchierten, die das Herz darstellte, strömten in einer karmesinroten Jus Goldblättchen auf das Serviertablett.
    In der Küchenunterwelt war eine Legende geboren.
    Und für Smuts sprach noch

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