Das Buch Gabriel: Roman
an einem hängen bleiben – oder zu jener Kette erstarren, die auf längere Sicht für Liebe gehalten wird. Aber am Anfang unserer Beziehung gab es noch nicht mal etwas Fliegendes. Wir stellten beide fest, dass wir unsere Lassos auf dem Boden hinter uns herschleiften, und stellten jeweils einen Fuß auf das des anderen. Die Streifen, die das Lasso auf ihrer Haut hinterließ, sehnten sich nie nach meiner Berührung, und in meiner leeren Brust ließ ihr Blick nichts klopfen. Wir schwammen nicht im Schmelztiegel der Leidenschaft, niemals brach sich in unserem Stöhnen etwas Getriebenes Bahn. Wir kannten nur ein gemeinsames Spiel, egal, welche Dimensionen das Spielfeld hatte: »Wenn du nicht gewesen wärst, dann.« Ach ja. Das alles erteilt uns eine Lektion, die wir, Sie und ich, später genauer unter die Lupe nehmen können, in einer etwas trüberen Gemütsverfassung vielleicht und bei einem Glas Wein. Sie werden feststellen, dass ich die Dynamik von Beziehungen intensiv studiert habe, und ich kann nur sagen, dass in unserer Beziehung ein auffälliger Mangel an all dem bestand, was man üblicherweise unter romantischer Liebe versteht – Romantik und Liebe eingeschlossen. Klar, auch wir hatten eines Nachts einen flüchtigen Moment, in dem unsere Perspektiven zufälligerweise synchron waren. Murmelnd wurde das Einswerden unserer Seelen beschworen – dieser lächerliche Traum, der sich für niemanden je realisiert hat. Trotzdem, es reichte, um die uns aneinander bindenden Pathologien in Gang zu setzen. Üblicherweise legt einem die Natur in einem solchen Augenblick nahe zu denken, dass das Schicksal seine Hand im Spiel haben muss – was sonst könnte das Mysterium erklären, dass zwei derartig Fremde sich aneinander binden? Tja, also … Nein. Das war nicht schicksal-, das war krankhaft. Und trotzdem war unsere Beziehung genau mit diesen Merkmalen äußerst englisch, äußerst menschlich, und ich verteidige sie – und Sarah auch. Für sie wird es ein harter Schlag sein, diese sinnlosen Routinen zu verlieren. Ich hoffe nur, dass sie, weil unsere jämmerlichen Spielchen auch eine öffentliche Fassade hatten, die Trennung als tragische Liebe ausgeben und den damit einhergehenden Verlust von Hemmschwellen genießen kann. Auch das wäre eine Art Limbus und damit ein angemessenes Vermächtnis von meiner Seite.
Unsere Trennung treibt mich um, obwohl ich längst ein Geist bin. Sie ist eine weitere durchschnittene Bande zum Planeten Erde. Ihnen, lieber Freund, mag es trostlos vorkommen, so zu reden, und ich tue es nicht, weil meine Vorstellungen von der Liebe enttäuscht wurden, sondern weil ich mich diesen Vorstellungen allzu sehr hingegeben habe. Ich habe davon geträumt, einer verwandten Seele zu dienen, natürlich tat ich das – von einem leichten, fest entschlossenen Herzen habe ich geträumt, das mich in Auseinandersetzungen um die wirklich wichtigen Dinge verwickelt, das jene Anteile von mir durchlässig macht, die unserem Glück im Wege stehen, und das mich unversehens im Sturm erobert. Ein Herz, das mir die Last von der Seele nimmt und seine eigenen Kümmernisse mit mir teilt. Ich habe sie mir sogar in einem kleinen, edlen Rahmen vorgestellt, eine Frau mit kohlrabenschwarzem Haar, die nie schlecht drauf ist und die nie nebenbei eine spitze Bemerkung fallen lässt, sondern die einen kleinen Knatsch mit einer Kissenschlacht beilegt. Überflüssig zu erwähnen, dass ich ein solches Wesen nie gefunden habe. Diejenigen, die ich in unserer heutigen Zeit und an unseren heutigen Orten finden konnte, waren alle in sich selbst gefangen und viel zu sehr in den Spiegel vertieft, um zu merken, dass ich meinen Arm ausgestreckt hatte.
Nun denn. In Gedanken fange ich an, Dinge aufzuspüren, auf die ich mich freuen kann. So funktioniert mein Geist: Er hangelt sich an einem mit zu erwartenden Annehmlichkeiten behängten Seil vorwärts und hakt sie ab, sobald sie eingetroffen sind. Mittlerweile merke ich, was für ein fauler Kunstgriff das ist. Trotzdem lasse ich ihn seine Sucharbeit tun, bis er sich auf Nelson Smuts kapriziert. Was für eine Orgie wir feiern werden. Mir fällt auf, dass von den Freunden, die man im Laufe eines Lebens so ansammelt, nicht jeder für jede Gelegenheit geeignet ist. Jeder Freund hat seine Zeit, seine Momente kommen und gehen. Aber diese vom Sturm gebeutelte Nacht, diese Odyssee am Rande der Bewusstlosigkeit – diese Nacht gehört Smuts.
Zugegeben: Ich wollte schon immer so sein wie er.
Smuts ist ein
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