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Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
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letztes Trinkgelage wird das Edelste und Feinste auffahren, was jemals verkostet wurde. Und nach dieser kurzen, aber ausgeprägten Dekadenz, einem perfekten Bonsai unseres dunkler werdenden Zeitalters, werde ich weg sein, spätestens bei Tagesanbruch, empfindungslos gegenüber meinem Schicksal. Herzukommen war eine gute Idee, denn die Spuren meines physischen Lebens habe ich hinter mir gelassen. Der Limbus ist noch rein und unberührt. Wie ich hier nackt an einem Fenster stehe, kommt mir die Szene am Fenster in der Reha vor wie aus einem trostlosen früheren Leben.
    Das Fenster befindet sich in meinem Zimmer im Peninsula Hotel. Ich lasse meinen Blick über all die überhängenden Formen und scharf geknickten Ecken schweifen, dann hinauf in den perlmuttfarbenen Himmel, und denke laut:
    »Reha. Peninsula Hotel.«
    »Whoosh.«
    Nachdem ich diese erfrischende Änderung im Lauf der Ereignisse erschöpfend genossen habe, rufe ich Smuts an.
    »Wie bitte?«, grunzt er. »Du bist hier ?«
    »Um mit dir zu trinken.«
    »Träum weiter, ich schufte hier wie ein Sklave.«
    »Smuts – du weißt, dass du es willst.«
    »Vor Mittwoch habe ich nicht frei.«
    »Was ist heute?«
    »Samstag.«
    »Ich schlage dir ein Bacchanal vor, bei dem das völlig irrelevant wird.«
    »Ein was ?« Smuts hält kurz inne. »Ach du Scheiße, du hast eine dieser Phasen. Das scharlachrote Siegel oder was? Ha. Alle aufgepasst – das Siegel ist in Tokio.«
    »Du liegst hundert Jahre daneben. Probier’s mal mit dem neunzehnten Jahrhundert.«
    »Putain«, ächzt er. »Und wieso?«
    »Die wussten noch, was Dekadenz ist.«
    »Ach du Scheiße. Ist bei dir wieder mal alles whoosh? Muss ich dich auf Kaution rausholen?«
    »Ich komme als Kapitalist, mein Freund. Ich bin in dieses schwindende Licht getreten.«
    »Putain. Kapitalist Siegel in Tokio. Dann weißt du ja sicher, warum ich nicht zum Spielen rauskommen kann, die Märkte sind gecrasht, andauernd hab ich meinen Chef am Hals. Du hättest Bescheid sagen sollen.«
    »Ich dachte immer, Chefs sind nicht so dein Ding.«
    »Schön wär’s, ha. Echt, schön wär’s. Mein jetziger ist ein miesepetriges Sackgesicht, mit Mundwinkeln wie bei einem Fisch. Gestern war er so mies drauf, ich hätte fast die Frau von dem Wichser angerufen, damit sie sein Schwert mit dem Taxi vorbeischickt.«
    »Ich habe die passende Medizin dabei«, sage ich. »Ich weiß, dass du sie willst.«
    »Hey Kollege – dieses Restaurant hier finanziert mich. Lange Geschichte, aber ich darf’s nicht versauen. Die Situation ist schon angespannt genug.«
    »Wann hast du Feierabend?«
    »Ich mein’s ernst: Keine Amokläufe für mich heute. Komm zum Essen vorbei, aber benimm dich. Lang werd ich’s allerdings nicht machen, morgen kommen Kontrolleure. Yoshida-San reißt sich hier gerade beide Beine aus, um das Becken fertig zu kriegen, in das wir die Fische umsetzen können.«
    »Dachte immer, Fische sind nicht so dein Ding.«
    »Nicht irgendwelche Fische – Fugu . Das Beste an Japan, ha. Giftstoffe, das nächste große Ding. Aroma reicht nicht mehr. Komm doch gegen sechs vorbei, dann erklär ich’s dir. Und, Kollege: Mister scharlachrotes Siegel bleibt zu Hause, klar?«
    »Du liegst ein Jahrhundert daneben.«
    »Pu- tain .«
    Smuts gibt mir die Adresse für den Abend. Das Telefonat hat mich entmutigt; ich frage mich sogar, woher es kommt, dass es mich so dringlich nach Gesellschaft für meinen Tod verlangt. Ich befinde dann aber, dass es mir nicht um Zeugen geht oder irgend so eine unterschwellige Psychologie. Sondern schlicht darum, mich ein letztes Mal ordentlich volllaufen zu lassen. Und letzten Endes wird sich auch Smuts dafür erwärmen können, da bin ich sicher. Mein eigenes Ende überlasse ich erstmal den Enthusiasmen. In der perfekten Nacht hätte ich eine Pistole, das ultimative Selbstmordwerkzeug, prêt-à-tuer . Nun ja, danach sieht’s im Moment nicht aus. Mal sehen, was mir noch so über den Weg läuft.
    Ich gebe zu, mir beim Wort »Giftstoffe« einen kleinen Marker zu setzen.
    Ach, die Enthusiasmen und ihre verschlungenen Wege. Während der hoch gestimmten Augenblicke dieser Nacht werden wir sie bei einem Glas Wein sicher noch genauer betrachten können. Um gegen meine Erschöpfung und allgemeine Schäbigkeit anzugehen, ziehe ich jetzt erstmal die Vorhänge zu und lege mich mit einer Zigarette aufs Bett, während im Fernsehen ein Anime-Kaninchen-Mädchen von einem Schuljungen vergewaltigt wird. Als sie weint, kann man im Spiegel

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