Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch Gabriel: Roman

Das Buch Gabriel: Roman

Titel: Das Buch Gabriel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dbc Pierre
Vom Netzwerk:
weiche Figur und ihre schnellen, demütigen Augen erinnern kann. Da ist sie und grinst durch eine Phalanx gesunder Zähne, wie damals, als sie noch nicht wusste, dass ihrem Mann seine Marotten wichtiger waren als sie, wichtiger als wir, bevor sie wusste, dass eine dringliche, unerledigte Angelegenheit ihn immer wieder fortziehen würde, und dass diese unerledigte Angelegenheit schlicht und ergreifend seine Kindheit war. Da ist sie, bevor all das, was sie erzogen wurde, wichtig zu nehmen, nicht mehr modern war, bevor es verachtet wurde, weil man mit Verachtung mehr Produkte verkaufen kann, und bevor sie selbst dafür verachtet wurde, dass ihr größter Ehrgeiz darin bestand, ein Haus mit Liebe zu füllen. Da ist sie, diese schöne Seele, und lächelt.
    Bevor sich alles in Rauch auflöste.
    Bevor das Entsetzen kam.
    Bevor.
    Wie sehr ich mir wünsche, sie zu umarmen. Was würde ich dafür geben, sie jetzt in die Arme schließen zu können, diese lächelnde, schemenhafte Person. Wie wichtig die Umarmungen sind, die uns immer gefehlt haben. Manche Dinge sind eben doch von Bedeutung. Manche sind sogar von großer Bedeutung.
    Andere hingegen zählen überhaupt nicht.
    Hitze steigt mir in die Augen, und ich ringe mich mit aller Gewalt zurück ins Jetzt. Ich muss mit Smuts’ Kontaktmann sprechen. Vielleicht lässt er sich mit ein paar vagen Worten abspeisen, mit der Zusicherung, dass etwas in der Mache ist. Wenn die Sache allerdings zu krass wird, ist der Tod ja auch nicht weit. Ich könnte eine eidesstattliche Erklärung zurücklassen, den Fisch betreffend. Ich könnte meinen Tod mit der Ungerechtigkeit dieses Falls in Zusammenhang bringen oder mich an Smuts’ Statt ins Schwert stürzen, den Alten auf japanische Art rächen. Das Unehrenhafte ehrenhaft machen, einen Selbstmord als Harakiri verkaufen. Mir stehen Myriaden von Möglichkeiten zur Verfügung. Hilfsmittel ohne Zahl, die aber alle auf das Eine hinauslaufen: den Tod.
    Trotzdem: Meine Hauptsorge wird durch diese hoffnungsfrohen Aufgeregtheiten auch nicht kleiner. Nach dem Anruf werde ich eine Verabredung haben mit dem Master-Limbus. Das habe ich mir gewünscht, seit ich in Berlin bin – doch jetzt will der Master etwas von mir, was ich nicht habe; und ich kann mir nur vorstellen, wie er reagiert, wenn seine Wünsche nicht befriedigt werden.
    Vom Bett aus greife ich nach meinem Segeltuchsack und ziehe eine Flasche Wein heraus. Eine Palliativtherapie. Meine Wahl fällt auf Simpatico – der Name erscheint mir passend für die Zeit vor dem Frühstück. Aber ich habe noch nicht mal den Hals der Flasche leer getrunken, als das Telefon zu klingeln beginnt. Bevor ich abhebe, zünde ich mir eine Zigarette an.
    »Guten Tag«, sagt ein Mann auf Deutsch. Er hat eine weiche, klare, angenehm modulierte Stimme. »Mir scheint, wir haben gemeinsame Freunde.«
    Ich warte ruhig ab, bis er hinzufügt: »Und einem von ihnen zufolge sollte ich es, solange ich keinen Todeswunsch verspüre, vermeiden, mit Ihnen trinken zu gehen. Sollte das wahr sein? Klingt verheißungsvoll. Ich hole Sie in, sagen wir, einer Stunde ab?«
    »Ähh – hallo«, gebe ich zurück. »Ich fürchte, das passt mir gerade jetzt nicht besonders gut. Vielleicht könnten wir uns zu einem anderen Zeitpunkt treffen? Oder kann ich Sie anrufen?«
    »Unbefriedigend. Denn wenn ich es richtig verstehe, haben wir möglicherweise ein gemeinsames Interesse – und wir sollten so bald wie möglich herausfinden, ob dem so ist oder nicht. Eine einleitende Frage können wir allerdings auch sofort klären: Ich gehe davon aus, Sie wissen, dass gewisse öffentliche Bereiche des fraglichen Objekts auf offiziellem Weg für private Nutzungszwecke von der Stadt gemietet werden können?«
    »Hm? Selbstverständlich«, flunkere ich.
    »Gut, gut. Dann sprechen wir also über etwas außerhalb des öffentlichen Zugriffs. Etwas, wie sollen wir sagen – Außergewöhnliches. Etwas ›richtig Geiles‹, wie Ihr Freund in Tokio es formuliert hat.«
    »So könnte man sagen.«
    »Vorzüglich. Ich glaube, ich kann mir denken, was Sie anbieten wollen – und falls es das ist, dann bin ich beeindruckt. Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen. Tatsächlich habe ich schon, als ich hörte, wo Sie abgestiegen sind, an unseren Mann in Paris weitergegeben, dass sich die Sache gut anfühlt. Sie wissen, Diskretion ist alles für ihn. Dieses Geschäft nicht im Hotel de Rome oder im Adlon abzuwickeln, beweist wahre Disziplin, Sie müssen ja sterben da oben inmitten der

Weitere Kostenlose Bücher