Das Buch Gabriel: Roman
Cappucchino-Kommunisten – ich wette, sie können keine Pasta mehr sehen. Da ist ein Drink doch dringend geboten. Könnten wir denn zumindest sagen: heute Abend? Wir müssen uns ein wenig sputen, unser Freund wartet auf einen Anruf.«
»Darf ich fragen, mit wem ich spreche?«
»Am Telefon ist das unwichtig, das verstehen Sie sicher. Fürs Erste bin ich Ihr Freund in Berlin. Sollen wir sagen um neun? Vor Ihrem Hotel? Sie werden erfahren, wer ich bin. Von Angesicht zu Angesicht können wir offen sein, am Telefon Kalter Krieg zu spielen, ist ermüdend. Ich sehe unserem Abend schon mit Freude entgegen, mit großer Freude sogar. Es ist eine Zeit her, seit ich mich das letzte Mal – in das Netzwerk eingeklinkt habe.«
»Ach – das Netzwerk. Ja.«
»Und wissen Sie was – ich habe so ein Gefühl, dass wir eine seiner Sternstunden erleben könnten.«
Nachdem ich mich von dem Mann verabschiedet habe, sitze ich einen Augenblick da und beobachte, wie der Zigarettenrauch das Licht zwischen den Vorhängen gerinnen lässt. Als ich schließlich den Hörer wieder auf seine Basis stelle, schüttle ich unwillkürlich den Kopf. Smuts und seine kulinarische al-Qaida. Smuts und der Küchen-KGB mit seinen undurchsichtigen Schergen. Ob da zwischen den Intrigen überhaupt mal einer Zeit zum Kochen oder Essen findet? Wahrscheinlich hocken sie die ganze Zeit bei Burger King und hecken Revolutionen aus. Ich nehme einen großen Schluck Marius und mache es mir gemütlich, um in Ruhe über alles nachzudenken. Aber nach nicht allzu langer Zeit fahre ich innerlich vor Schreck zusammen. Mir kommt die Erkenntnis, dass Smuts’ Schicksal tatsächlich an dieser Unterwelt hängt – oder Überwelt, genauer gesagt. Seine Situation ist weit davon entfernt, nur in rechtlicher Hinsicht eine missliche zu sein, dazu ist sie viel zu sehr von kommerziellen Interessen durchzogen. Es ist also angebracht, den Schlüssel zu seiner Freilassung in den Händen dieser Interessengruppen zu vermuten. Aber ich habe ein zweifaches Problem – soweit ich überhaupt helfen kann: Erstens liegt kein konkreter Deal auf dem Tisch, um ihn frei zu kriegen. Die Freilassung wird immer nur stillschweigend angedeutet, und das eigentlich auch nur von Smuts. Zwei Fremde treffen sich wegen eines Veranstaltungsortes – ein Schachspiel mit völlig im Dunkeln liegenden Interessen. Zweitens, und nicht weniger entscheidend: Es gibt keinen Veranstaltungsort. Das Treffen ist ein Bluff.
Und in Situationen wie dieser bin ich dem Master-Limbus nicht gewachsen.
Die Situation ist verhängnisvoll und plötzlich sehr real. In meiner alten Wohnung in London hätte ich einen solchen Anruf als schlechtes Theater abtun können. Wahrscheinlich, weil der öffentlich Dienst die Menschen im Lauf der Jahre mit ihrer unheilverkündenden Sprache überstrapaziert hat, haben die Londoner heute ein gutes Abwehrsystem gegen alles Verhängnisvolle und Ominöse.
Aber ich bin eben nicht in London. Es gibt zu viele unredliche Interessen in der Welt, als dass diejenigen, die sie vertreten, nicht gelernt hätten, sich unauffällig zu verhalten. Und es gibt tatsächlich Menschen, die im Geheimen operieren, die mit ihren Anliegen hinterm Berg halten und die nur den allerseltensten Beutetieren nachstellen. Die Einhörner jagen, wie Smuts sagen würde.
Vielleicht nirgendwo häufiger als im Limbus-Reich des zeitgenössischen Kapitalismus.
Ein Frösteln durchsickert mich. Blindlings habe ich eine Hand in diese Schaltkreise gehalten, in einen Wirrwarr seltsamer, abgehobener Praktiken und Benimmregeln, die mit der Ausnahme einiger Auserkorener auf der ganzen Welt nie jemand kennenlernen wird. Ich muss daran denken, was Smuts erzählt hat: »Ich könnte dir Gerüchte über den Basken erzählen, da bleibt dir sofort das Herz stehen. Ich kenne Köche, die für seine Events gearbeitet haben und die dir sofort den Rücken zukehren, wenn du auch nur eine Frage danach stellst. Sie wechseln noch nicht mal mit einem höflichen Lächeln das Thema. Sie sagen nicht: ›Dazu darf ich nichts sagen.‹ Sie drehen sich einfach um und gehen.«
Whoosh. Die Überwelt.
Und jetzt, da sie ihren Kegel um mich herum enger werden lässt, habe ich nichts anderes anzubieten als – einen Kiosk.
Und noch nicht mal das – zumindest so lange Gerds Frau ein Wörtchen mitzureden hat.
Kurz ziehe ich in Erwägung, das Hotel zu wechseln oder mich vor eine U-Bahn zu werfen. Aber dafür spricht eigentlich nichts – ich bin Smuts verpflichtet,
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