Das Buch Gabriel: Roman
also bin ich auch dazu verpflichtet, diesen Mann zu treffen und ihm ein Luftschloss zu bauen. Umso besser, dass er vorschlägt, sich auf ein Getränk zu treffen – ich werde ihm einfach das nötige Schloss entwerfen und den Abend zu meinem Abschied machen.
Nachdem das entschieden ist, verbringe ich den Rest des Tages so, wie ein Tourist seinen letzten Tag im Leben verbringen würde: ein Sandwich im Café unten, dann Trinken und Fernsehen im Bett, bei geschlossenen Vorhängen. Trotzdem passiert etwas: An einem bestimmten Punkt könnte ich schwören, dass die sagenumwobene Marius-Korrektur in mir vonstatten geht. Ich halte sogar kurz inne, während vormenschliche Minerale und Energien in meinen Genen einen locker sitzenden Schalter umzulegen scheinen. Das – vielleicht auch ganz allgemein die Wirkung der Rauschmittel – lässt mich kurz darauf feststellen, dass ich tatsächlich dabei bin, mich für ein Zusammentreffen mit dem Master zu rüsten. Ich lege Anzug und Pelz an, bespritze mich mit Jicky und packe eine Flasche Symphony in eine Plastiktüte, bis es um neun Uhr vor dem Hotel ein merkwürdiges Zusammentreffen gibt. Zum einen wankt ein Penner, der die Flasche sieht, auf mich zu: »Für mich?« Er streckt die Hand aus. »Sie sind ein großer, großer Mann. Ein ganz großer.«
Hinter ihm nähert sich ein schweres Motorengeräusch, kurz darauf schält sich aus dem Licht der Straßenlaternen ein schwarzer Mercedes, der mit einem Satz am Bordstein ist, schimmert, als wäre er flüssig, und den schwankenden Obdachlosen die Straße hinabschickt.
Ich atme tief durch. Jetzt schon kann ich einen Kater heraufziehen fühlen, aber das muss nicht unbedingt schlecht sein. Er könnte mir dabei helfen, die Lektion der Reife zu lernen und weitgehend einfach den Mund zu halten. 29 Die Mission des heutigen Abends verlangt nicht nach Logistik. Es geht nur darum, Andeutungen auf einen Veranstaltungsort fallen zu lassen. Wenn Smuts dann frei ist, kann die Wahrheit nach Belieben ans Licht kommen. Denn seien wir realistisch: Ein derartiger Schuljungenstreich kann nur eine typische Smuts-Idee sein, die sowieso nie umgesetzt wird. Die so schnell, wie sie in der Welt ist, schon wieder von einer anderen ersetzt wird, von Hotels auf Eisbergen oder Bistros in Bagdad – von allem eben, was sich so auf dem Karussell des Vielleicht dreht und ein grüblerisches Genie zwischen zwei Zigaretten hinter der Küche bei Laune hält.
Ich habe das Gefühl, dass diese Sichtweise einigermaßen klug ist.
Sich aber bestimmt nur Trauben mit korrigiertem Genom verdankt.
Ich gehe einen Schritt auf den Wagen zu, zögere aber, als ich eine Frau hinter dem Lenkrad entdecke. Sie sieht makellos aus und hat so sauberes schwarzes Haar, dass es mit der Limousine um die Wette schimmert. Im Glauben, ein Shampoo-Model für die Küchenüberwelt gehalten zu haben, weiche ich zurück, aber blitzschnell öffnet sich vollkommen geräuschlos die Hecktür, und eine Hand bedeutet mir einzusteigen. Auf der anderen Seite der Mittelkonsole sitzt ein gepflegter, schwarz gekleideter Mann mit dunklen Haaren. Er ist um die vierzig und hat das jungenhaft gute Aussehen eines Schauspielers. »Thomas«, sagt er lächelnd und reicht mir die Hand.
Obwohl glatt und charmant, ist nichts Bedrohliches an Thomas. Ich kann mich schon für ihn erwärmen, als der Wagen so schnell anfährt, dass er uns in ein Nest aus weichem Leder drückt.
»Gabriel«, gebe ich zurück und überreiche quer über den Sitz die Tüte.
Er sieht hinein. »Ahh, Symphony – der 2004er!« Sein Gesicht leuchtet auf, und er hält kurz inne, bevor er zu mir hersieht und sagt: »Weißt du – ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen.«
Ein mandelförmiges Augenpaar richtet über den Rückspiegel seinen Blick nach hinten, dann werden eine Knopfnase und ein Lächeln sichtbar. »Cooler Duft«, sagt die Fahrerin. »Jicky?«
»Bettina«, sagt Thomas. »Sie hat eine ganz erstaunliche Nase.«
»Und Sie haben es gerade erst aufgetragen«, sagt sie, »die Zitrusnote ist noch stark.«
Ich sehe in den Spiegel: »Ja, eine erstaunlich hübsche Nase.«
Damit bricht das sowieso nicht allzu dicke Eis im Wagen, und in mir bricht so etwas wie ein neuer Tag an. Wie Freunde fahren wir ins Herz von Berlin, draußen rauscht eine sternenklare Nacht vorbei, unsere Stimmen ticken so leise wie Armbanduhren; und wenn gelegentlich Bettinas Blick im Spiegel erscheint, steigen in mir Fantasien hoch, in denen ich ihre Eitelkeit
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