Das Buch Gabriel: Roman
Serie geschaltet und geht zeitlich aufeinander abgestimmt los, wie ein Ballett. Ganz raffiniert, sechzig Euro das Ganze. Mitternacht wird gezündet, als großes Finale. Und dann stoßen wir ein letztes Mal auf den Flughafen an.«
»Vor ein paar Wochen haben Linke in meiner Straße so ein Ding in einem Porsche angezündet«, sagt Dieter. »Himmel noch eins, das hättest du sehen sollen, den hat’s in alle Einzelteile zerlegt.«
»Den Porsche? Wegen eines Feuerwerkskörpers?«
»Nu ja, ich hätte es auch nicht gedacht. Aber es stimmt, ich hab’s mir überlegt: Das Auto ist so gut abgedichtet, dass die Explosionen enorm hohen Druck aufgebaut haben, bis alles auseinander geflogen ist. Dann hat das ganze Ding Feuer gefangen. Das hat ein paarmal ganz schön geknallt, wir sind alle auf die Straße gelaufen. Nach zehn Minuten sah der Wagen aus wie nach einem Atomschlag, das hättet ihr sehen sollen.«
Gerd denkt nach. »Sag mal, waren wir nicht mal die Linken?«
»Na ja – ich dachte, wir waren Marxisten-Leninisten.«
»Und was ist da der Unterschied?«
»Wer weiß. Vielleicht nur diese Porsche-Sache.«
»Ja, na ja. Und falls dir bis zu Heides Geburtstag keine Linken mehr über den Weg laufen: Gottfried weiß, wo du Raketen günstig bekommst, falls du welche brauchst.«
»Ha – der könnte uns auch einen Panzer besorgen.«
»Ich hab aber auch noch ein paar Knaller übrig vom letzten Silvester.« Gerd schließt den Lagerraum ab und geleitet uns zurück in den Bahntunnel.
»Danke, aber ich brauch Raketen – Heide legt Wert auf Größe.«
»Und dann hat sie dich geheiratet? Haa! « Wir stapfen auf der Autobahn bis zu einer anderen Metalltür, die Gerd weit aufstößt.
»Und sieh mal hier.« Er klickt die Deckenbeleuchtung an.
Ich falle fast hintenüber. Unter schweren Bögen erstreckt sich vor uns ein Gewölbe, Bogen um Bogen um Bogen, als würde es von Spiegeln unendlich oft reflektiert. Schatten an der Seite versprechen weitere Gewölbe, mehr verborgene Säle.
Es ist eine unterirdische Alhambra.
Gerd sagt: »Ein Bunker für die Flughafenmitarbeiter, 1935 gebaut. Dann gibt’s hier noch die Lufthansa-Bunker, die Frauen- und Kinderbunker und die Kommandozentralen der amerikanischen Streitkräfte – es ist eine unterirdische Stadt, der ganze Komplex hat sogar ein eigenes Wasserwerk und ein Kraftwerk, er ist völlig autark von der Stadt.« Er führt uns durch ein Gewirr von Sälen. »Schau mal – siehst du das Bild von dem Mann, der sich betrinkt? Und die Schrift? Alles original aus den Dreißigern. Hier ist seit siebzig Jahren nichts angefasst worden.«
Auf die Wand ist ein Mann im Profil gemalt, der den Kopf weit zurückgelegt hat und sich eine Flasche fast senkrecht in den Mund leert. Atemlos betrachte ich ihn.
Eine Nimbus-Ikone.
Wir gehen in die erste Passage zurück, wo Bogengänge einen Gewölbeabschnitt mit dem nächsten verbinden, immer weiter in die Ferne, jedes einzelne Abteil geräumig genug, um hier ein Dinner abzuhalten, eine Lounge oder eine Tanzfläche einzurichten. Egal was. Mythische Unterweltdekadenz, ein gotischer Palazzo, leer, geräuschlos, fensterlos.
So still wie der Wohnsitz des Todes.
Whoosh.
Ein Wunderland.
17
Der frühe Vogel fängt den Wurm, spricht der Limbus-Magister. Deswegen stehe ich an diesem Morgen mit den Vögeln, Babys, Pavianen und Geschäftsmännern auf und ziehe sogar meinen Anzug an, um gemeinsam mit diesen Agenten der unlauteren Vorteilserwirtschaftung den Tag meinem Willen zu beugen.
Die Mission: des Schlüssels zum Wunderland habhaft zu werden.
Denn in der Nacht ist mir etwas aufgegangen: Das ist nicht nur der Schlüssel zu einem unterirdischen Schlaraffenland. Er eröffnet nicht einfach nur den Weg zu einem geheimen Bankett, zur Freilassung eines Freundes und einem luxuriösen Tod – er entfesselt gleichzeitig den Limbus des zeitgenössischen Kapitalismus auf seiner tiefsten, gasförmigsten, immateriellsten Ebene. Dieser Schlüssel ist der Zugang zu seinem Herz und seiner Seele.
Die Kräfte des Marktes mögen Smuts und mich in eine Falle gelockt haben, aber jetzt, am Scheitelpunkt des Kegels dieser Odyssee, rotten sich Engel und Dämonen, Enthusiasmen und Limbus zusammen – sie sind gekommen, ein Endspiel zu inszenieren. Diese Schlüssel öffnen nichts weniger als eine Vene der Großen Gottheit des Westens.
Bei einem heilsamen Glas Wein fällt mir kein Grund ein, warum Gerd mir den Schlüsselbund nicht ausborgen sollte. Abhängig von seiner Reaktion
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