Das Buch Gabriel: Roman
Statue, und dann leuchtet plötzlich noch was anderes in ihm auf.« Gerd wirft einen schnellen Blick durch die Eingangshalle, bevor er sich mit einem Flüstern an mich wendet. »Ein echter Stasi-Mann – hast du schon mal von der Geheimpolizei der DDR gehört? Das war Gottfrieds Job früher, wahrscheinlich sogar ziemlich weit oben. In Deutschland wird darüber nicht mehr groß geredet, die Zeiten haben sich geändert. Aber der wird in seinem Leben so einiges gesehen haben. Dieter weiß noch mehr über ihn. Er macht immer Witze, dass Gottfried heute noch seine Arbeitssocken und die Pistole neben das Bett legt. Aber eigentlich meint er es ernst. Gottfried lebt wirklich jeden Tag so, als ob er auf etwas wartet, vielleicht will er noch einen vernichtenden Streich für den Sozialismus führen, wer weiß, der letzte, gut gezielte Schlag der DDR. Er beobachtet, was passiert, still und leise. Wie ein Dobermann.«
»Was arbeitet er denn heute?«
»Er hat eine Fahrradwerkstatt und erledigt hier auf dem Flughafen in Teilzeit Wartungsarbeiten. Aber es sieht nicht gut aus für ihn, er tut mir leid. Vor ein paar Jahren hat er seine Frau verloren, seitdem hat er keine Farbe mehr im Gesicht. Jetzt geht sein Betrieb den Bach runter, und der Flughafen schließt. Er liebt diesen Ort hier, auch wenn er im Westen war. Ich glaube, er identifiziert sich mit dem Flughafen – stabil und voller verborgener Tunnel. Weißt du, Gottfried hat eine bessere Sicherheitsstufe als ich, er darf sogar auf dem Flugfeld helfen, in der Nähe der Flugzeuge. Er hat einen wachen Verstand, er ist sehr vernünftig, das merken die Leute irgendwann immer. Er macht sich ganz schnell unentbehrlich. Du solltest mal seine kleinen Erfindungen sehen.«
Anna kommt aus dem Hinterzimmer des Kiosks, und Gerd macht sich sofort wieder an der Theke zu schaffen. »Nein«, murmelt er vor sich hin. »Gottfried soll ruhig Chianti trinken. Warum denn nicht.«
Da der Gesprächsfaden abzureißen droht, hole ich Luft und trete an die Frontlinie meiner Mission: »Das war ein unglaublicher Keller, den du mir da nach eurem Auftritt gezeigt hast.«
»Ja, nicht wahr? Da unten muss genauso viel Gebautes herumstehen wie hier oben.«
»Wirklich? Du musst mir mal die Schlüssel leihen, ich würde mir das wahnsinnig gern mal genauer anschauen.«
» Haa – geht nicht. Es ist verboten, Touristen da reinzulassen. Bis Ende des Monats ist das hier ja noch ein internationaler Flughafen, und die Tunnel reichen bis unters Flugfeld. Du brauchst eine Genehmigung, und die kriegt man nicht so einfach. Eigentlich bin ich auch nicht zugangsberechtigt – normalerweise haben wir das Lager für den Kiosk hier oben, aber den Raum braucht die Flughafengesellschaft für den Auszug. Kaum wird hier alles dichtgemacht, ändern sich die Sitten. Aber was soll’s. Keine Ahnung, was wir danach machen sollen.«
»Das ist wirklich eine Schande.« Ich versuche, mir die Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
»Ach, so ist das Leben eben. Aber falls es dich interessiert: Die Stadt ist voll von Bunkern. Verlassene U-Bahn-Stationen, Brauereien, Tunnel – sogar Autobahnen. Hitler wollte Berlin durch Germania ersetzen, die Super-Hauptstadt, das neue Rom. Es heißt immer, dass es in Berlin jedes Gebäude doppelt gibt, einmal ober- und einmal unterirdisch. Es gibt da einen Verein, der macht Führungen, du kannst ja mal anrufen.«
Mit der Vorstellung von Thomas bei einer geführten Besichtigungstour entschuldige ich mich und krieche zurück ins Hotel. Einen weiteren Akt im Theater meines Lebens hält auch der Stärkste nicht aus. Als das Taxi die Spree überquert, denke ich an meinen Abend mit Thomas, der ungefähr einen Monat zurückzuliegen scheint. Der Abstand wirkt größer, weil ich von einer anderen Welt aus auf ihn zurückblicke – einer Welt mit Pferden auf Fluren und Zerwürfnissen wegen Bockwürsten. Dieses Gleiten von einer Welt in die andere ist extrem anstrengend, und beim Versuch, die beiden Welten zusammenzubringen, gerate ich ins Schleudern.
Ich komme mir vor wie dieser Fallschirmjägeranwärter, der seinen Ausbilder fragt: »Wenn der Hauptschirm nicht aufgeht, wie lange habe ich dann noch Zeit, den Ersatzschirm zu öffnen?«
Worauf der Ausbilder lachend antwortet: »Den Rest deines Lebens.«
Eine Erwiderung auf die Kräfte, die nunmehr auf Ihren dienstfertigen Illustrator einwirken, hat der Mensch noch nicht ersonnen. Eine Zeit lang liege ich wie paralysiert auf dem Bett und denke
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