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Das Buch meiner Leben

Das Buch meiner Leben

Titel: Das Buch meiner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Heamon
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Waschmaschine zu stopfen. Es war klar, dass es ohne German diese Spiele nicht geben würde, aber er verlangte nie eine Gegenleistung von uns.
    Jahrelang nutzte ich Germans unerklärliche Großzügigkeit aus. Da wir im Winter oft in einer Gemeindeturnhalle spielten, allerdings in Pilsen, was für einen Fahrradfahrer viel zu weit weg war, nahm er mich in seinem klapprigen Lieferwagen mit, wobei ich während der Fahrt die Beifahrertür festhielt, weil sie nicht mehr richtig schloss. Auf dem Rückweg fürchtete ich oft um mein Leben, da German den erfolgreichen Abschluss eines Turniers gern mit ein paar Bieren feierte – die Kühltasche in seinem Wagen war immer gut gefüllt. Er redete pausenlos während des Fahrens und trank dabei, erzählte mir von seiner Lieblingsmannschaft aller Zeiten (Kamerun bei der WM 1990) oder von seiner Suche nach einem Nachfolger, der die Spiele organisieren würde, wenn er sich im Alter nach Florida zurückziehe. Es sei schwer, den Richtigen zu finden, sagte er, weil kaum jemand sich binden wolle. Mich hat er nie gefragt, was mich ein bisschen kränkte, auch wenn ich wusste, dass ich völlig ungeeignet dafür war.
    Einmal, während einer Fahrt auf vereisten Straßen, bei der mir besonders mulmig war, fragte ich ihn, warum er das überhaupt mache. Er tue es für Gott, antwortete er. Gott habe ihm aufgetragen, Menschen zusammenzubringen, die Botschaft der Liebe zu verbreiten, das sei seine Mission. Mir war unwohl, ich befürchtete, er werde mich bekehren wollen, und stellte ihm daher keine weiteren Fragen. Aber er hat nie jemanden nach seiner Religion befragt, nie über seinen Glauben gesprochen, nie versucht, andere zu Gott zu bringen. Seine Liebe zum Fußball war bedingungslos. Wenn die Leute an den Fußball glaubten, reichte ihm das. In Florida wollte er ein Stück Land kaufen und eine Kirche darauf bauen und daneben einen Fußballplatz anlegen. Er wollte den Rest des Lebens als Prediger verbringen. Nach dem Gottesdienst würde die Gemeinde Fußball spielen, und er würde pfeifen.
    Einige Jahre später hörte German auf. An einem der letzten Wochenenden spielten wir bei drückender Hitze. Alle waren gereizt, papageiengroße Fliegen schwirrten umher, der Boden war hart, die Luftfeuchtigkeit enorm, die Toleranz gering, ein paarmal kam es zu Streit. Der Himmel über den Wolkenkratzern am Lake Shore Drive verfinsterte sich, in den Wolken brodelte es, bald würden sie überkochen. Und dann traf uns eine Kaltfront, als hätte jemand eine gigantische Tiefkühltruhe geöffnet, und im nächsten Moment ging ein Wolkenbruch nieder, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Der Regen setzte am anderen Ende des Spielfelds ein und bewegte sich dann wie eine deutsche WM -Mannschaft auf das gegnerische Tor. Wir liefen davon, aber der Regen holte uns rasch ein, und im nächsten Moment waren wir pitschnass. Die Heftigkeit dieses plötzlichen Wetterumschwungs hatte etwas Erschreckendes – dieser blinden, unberechenbaren Naturgewalt waren wir hilflos ausgeliefert.
    Ich lief zu Germans Lieferwagen wie zu einer rettenden Arche. Andere waren schon dort: German, Max aus Belize, ein Chilene (der natürlich Chile hieß), Rodrigo (ein Automechaniker, der Germans Lieferwagen seit mehr als zwanzig Jahren wundersamerweise fahrtüchtig hielt) sowie Rodrigos ermatteter Kumpel, der offenbar kein Wort Englisch sprach, mit nacktem Oberkörper auf der Kühltasche saß und Bier verteilte. Wir flüchteten uns in den Lieferwagen, der Regen trommelte aufs Dach, und es hörte sich an, als wären wir in einem Sarg und jemand werfe Erdklumpen darauf.
    Ich fragte German, ob er glaube, in Florida Spieler zu finden. Er war sich seiner Sache sicher, denn wenn man gebe und nichts dafür fordere, sagte er, werde sich schon jemand finden. Plötzlich ratterte Chile etwas herunter, was wie eine schlecht gelernte Lektion aus einem New-Age-Lehrbuch klang, einen banalen Spruch über bedingungslose Hingabe. Die Leute in Florida sind zu alt, sagte ich, sie können nicht mehr laufen. Wenn sie alt sind, entgegnete German, sind sie nicht mehr weit vom Eintritt in die Ewigkeit entfernt, da brauchen sie Hoffnung und Ermutigung. Fußball wird ihnen dabei helfen.
    Nun ja, ich bin Atheist, eitel und skeptisch. Ich gebe wenig, erwarte viel und verlange noch mehr – was German sagte, klang in meinen Ohren allzu bedeutungsvoll, naiv und simpel. Es wäre in der Tat bedeutungsvoll, naiv und simpel gewesen, wäre nicht das Folgende passiert:
    Hakim, der

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