Das Buch meiner Leben
Nigerianer, der es irgendwie schafft, an jedem Tag seines Lebens Fußball zu spielen, kommt herbeigelaufen, völlig durchnässt, und fragt, ob wir seine keys, seine Schlüssel, gesehen haben. Spinnst du, rufen wir, während es durch das Fenster schüttet, dies ist der Weltuntergang, such später nach deinen Schlüsseln. Kids, sagt er, ich suche nach meinen kids. Dann rennt er durch den Regen und sammelt seine beiden Kinder ein, die ängstlich unter einem schützenden Baum stehen. Hakim bewegt sich wie ein Schatten vor dem dunkelgrauen Regenvorhang, seine Kinder klammern sich an ihn wie zwei Koalajunge. Lalas (er heißt so nach dem amerikanischen Fußballspieler) steht derweil auf dem Radweg neben seiner Frau, die im Rollstuhl sitzt. Sie hat eine besonders aggressive Form von MS und hat es nicht mehr geschafft, sich vor dem Wolkenbruch in Sicherheit zu bringen. Sie stehen nebeneinander und warten auf das Ende des Unwetters, Lalas in seinem Uptown-United-Shirt, seine Frau unter einem Stück Karton, das sich im Regen allmählich auflöst. Der tibetische Torhüter und seine tibetischen Freunde, die ich noch nie gesehen habe und auch nie mehr sehen werde, spielen auf dem inzwischen völlig überfluteten Feld. Es sieht so aus, als bewegten sie sich in Zeitlupe auf einem friedlichen Fluss. Der Boden dampft, der Dunst umhüllt ihre Füße, und manchmal scheint es, als schwebten sie über dem Wasser. Lalas und seine Frau sehen ihnen ganz entspannt zu, als könnte ihnen nichts passieren. (Sie ist inzwischen gestorben, möge sie in Frieden ruhen.) Sie sehen, wie einer der Tibeter ein Tor schießt, der regenschwere Ball entgleitet dem Torhüter, der in einer Pfütze landet. Er lacht unbekümmert, von Weitem sieht er aus wie der Dalai Lama höchstpersönlich.
Das, meine Damen und Herren, ist der Kern dieser kleinen Geschichte – jener seltene Augenblick, den all jene vielleicht kennen, die mit anderen Leuten Sport machen: jener Moment inmitten des chaotischen Spielgeschehens, wenn sich die Teamkameraden in einer idealen Position befinden und das Universum einem höheren Willen zu gehorchen scheint, jener Moment, der sofort vorbei ist, sobald man die Flanke geschossen hat. Es bleibt nur noch eine vage, physische, orgasmische Erinnerung an jenen flüchtigen Moment, in dem man mit seiner Umgebung vollkommen eins war.
Die Patina
Nachdem German nach Florida gegangen war, spielte ich in einem Park in Belmont, südlich von Uptown. Es war eine ganz andere Truppe, deutlich mehr Europäer, ganz und gar assimilierte Latinos und ein paar Amerikaner. Wenn ich mich zu sehr hineinsteigerte und von den anderen, sagen wir, mehr Teamgeist verlangte, hieß es meistens: Entspann dich, ist doch nur Fitnesstraining. Worauf ich entgegnete, dass sie, wenn sie nicht vernünftig spielen wollten, besser in einer verdammten Muckibude rummachen sollten. Kein Uptown-Spieler hätte je so etwas gesagt. Bei uns ging es nie um Fitnesstraining und Entspannung.
Einer der Belmont-Leute war Lido, ein fünfundsiebzigjähriger Italiener. Selbst der langsamste Ball war zu schnell für ihn, weshalb er, wenn die Mannschaften zusammengestellt wurden, nie als Spieler zählte – wir ließen ihn einfach mitmachen, weil wir davon ausgingen, dass seine Anwesenheit auf dem Platz keine Auswirkungen haben werde. Wie so viele Männer jenseits der fünfzig machte er sich große Illusionen über seine körperlichen Fähigkeiten. Er glaubte wirklich, noch so gut spielen zu können wie fünfzig Jahre zuvor. Ausgestattet mit einem beklagenswerten Toupet, das ihm beim Kopfball über die Augen rutschte, verwies er, nachdem er den Ball verfehlt hatte, stets auf seine grandiosen Absichten und die offensichtlichen Fehler der anderen. Lido war ein guter und anständiger Mensch. (Er starb 2011, möge er in Frieden ruhen.)
Weil mir die Aussicht, eventuell nicht aufgestellt zu werden, unerträglich war, erschien ich noch immer überpünktlich zu den Spielen. Lido, der in der Nähe wohnte, war oft als Erster da. Manchmal war er ganz irritiert und verärgert, wenn er einen unserer amerikanischen Mitspieler gesehen hatte, der sich im Park versteckte, um unserem Geplauder vor Anpfiff aus dem Weg zu gehen. Was sind das denn für Leute?, brummte er. Wovor haben sie Angst? In Italien würde das nie passieren. Lido, der ursprünglich aus Florenz kam, trug stolz ein purpurrotes Fiorentina-Trikot. In Italien, sagte er, sprechen die Leute gern mit einem und sind hilfsbereit. Wenn man sich verlaufen
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