Das Buch Ohne Gnade: Roman
Schulden begleichen. Und vielleicht bestand auch noch die Chance, von Nigel Powell die fünfzigtausend Dollar dafür zu erhalten, dass er Sanchez erledigt hatte. Aber zuerst müsste er ihn finden. Wohin zum Teufel war er verschwunden?
Als er durch den Korridor zur Bar rannte, stellte Angus überrascht fest, dass Sanchez nicht mehr zu sehen war. Der Korridor war etwa fünfzig Meter lang und endete in einer großen Halle, auf deren rechter Seite sich die Bar befand. Er rechnete sich aus, dass Sanchez den Korridor überwunden und sich für die Bar entschieden hatte.
Als Angus das Ende des Korridors erreichte, konnte er abermals niemanden entdecken. Die Halle war völlig leer, da jeder zum Konzertsaal geeilt war, um sich das Finale des Gesangswettbewerbs anzusehen. Die Tische und Stühle in der Bar auf der rechten Seite waren verlassen. Die einzige lebende Seele war ein einsamer Barkeeper, der soeben die Theke säuberte. Es war ein blonder junger Mann Anfang zwanzig in schwarzer Hose, weißem Oberhemd und roter Weste, der vorgeschriebenen Dienstkleidung des Hotels.
»Wo zum Teufel ist er hingerannt?«, fauchte Angus ihn an.
Der Barkeeper gab keine Antwort, sondern deutete mit einer Kopfbewegung zu einer Tür hinter der Theke. Angus nickte ihm zu und eilte zu einem Teil der Theke, der mit einem Scharnier versehen war und hochgeklappt werden konnte, sodass das Personal kommen und gehen konnte. Er hob die Klappe hoch, ließsie mit einem lauten Krachen einfach auf die andere Seite fallen und gelangte hinter die Theke. Um einiges vorsichtiger drückte er am Ende der Bar die Tür auf, die in die Küche führte. Er warf einen kurzen Blick hinein, weil er damit rechnete, dass Sanchez ihm dort auflauerte. Hätte er von der legendären Feigheit des Mannes gewusst, wäre er sicher nicht so wachsam gewesen, aber Vorsicht war etwas, das er schon früh während seiner Tätigkeit als Berufskiller gelernt hatte.
Die Küche war ebenfalls leer. Das Personal hatte sich verzogen, höchstwahrscheinlich um sich die Show anzusehen. Sie hatten ein Riesendurcheinander hinterlassen. Zwei Meter hohe Rollwagen mit Speisetabletts standen kreuz und quer herum, und mehrere Tische waren beladen mit Speisen, schmutzigen Tellern und Essbestecken. Aber von Sanchez keine Spur.
Angus ließ den Blick durch den Raum schweifen auf der Suche nach einem anderen Fluchtweg, den Sanchez gewählt haben könnte. Die Küche hatte nur noch einen anderen Ausgang, und zwar links von Angus. Es war eine weiße Tür mit einem runden verglasten Bullauge in Augenhöhe. Indem er so leise wie möglich auftrat, huschte Angus zu der Tür hinüber und hielt die Pistole schussbereit für den Fall, dass Sanchez’ Gesicht im Türfenster erschien. Als er die Tür erreichte, drehte er probeweise den Knauf und stellte fest, dass sie abgeschlossen war. Daraus ergaben sich nur zwei Möglichkeiten. Entweder hatte Sanchez diese Tür benutzt und von der anderen Seite abgeschlossen. Was eher unwahrscheinlich war.
Wahrscheinlicher war, dass sein Jagdwild sich noch in der Küche aufhielt. Aber wo?
FÜNFUNDVIERZIG ♦
Nur wenige Stunden zuvor hatte Emily sich darüber gefreut, ins Finale gelangt zu sein. Da sie wusste, dass die anderen vier Finalteilnehmer ebenfalls schon vorher ausgewählt worden waren, hatte sich ihr schlechtes Gewissen, dass sie es so weit geschafft hatte, in Grenzen gehalten. Sie hatte Johnny Cash, Kurt Cobain, Otis Redding und sogar James Brown ein wenig näher kennengelernt. Aber da die ersten drei tot waren und der vierte, James Brown, höchstwahrscheinlich ihre Ermordung veranlasst hatte, hatte sie sich auf einige neue Finalisten einstellen müssen. Freddie Mercury und Janis Joplin waren freundlich und entgegenkommend gewesen und sie hatte sich auf Anhieb mit ihnen gut verstanden. Sie war außerdem ziemlich zuversichtlich, dass sie sie besiegen konnte.
Die beiden neuen Finalisten, denen man sie noch nicht vorgestellt hatte, waren Elvis und der Blues Brother. Zurzeit befand Elvis sich auf der Bühne und sang auf Teufel komm raus. Da sie sich der Notwendigkeit bewusst war, sich tunlichst ständig in der Nähe anderer Leute aufzuhalten für den Fall, dass der Killer es auch auf sie abgesehen hatte, nutzte Emily die Gelegenheit, um sich mit dem Blues Brother bekannt zu machen. Sie hatte eine oder zwei Minuten zuvor beobachtet, wie er hinter die Bühne ging, daher machte sie sich auf den Weg dorthin, um ihn zu suchen.
Als sie ihn fand, war er alleine und saß in
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