Das Buch Ohne Gnade: Roman
einem der Polstersessel in einer Ecke und aß einige Hähnchenflügel von einem Papptellerauf seinem Schoß. Vor ihm standen ein niedriger Tisch und ein weiterer gemütlicher Sessel auf der anderen Seite. Da der Sessel frei war, ging Emily hinüber, um sich vorzustellen, obgleich sie gewisse Hemmungen hatte. Er trug noch immer seine Sonnenbrille, daher war nicht zu erkennen, ob sie ihm willkommen war oder nicht.
»Hi, ich bin Emily«, sagte sie lächelnd und streckte ihm eine Hand entgegen.
Der Blues Brother hatte den Mund voller Hähnchenfleisch und schluckte hastig die letzten Stücke hinunter. »Hi, ich bin Jacko«, sagte er freundlich. »Ich gebe dir lieber nicht die Hand. Meine Finger sind ganz fettig.«
»Das ist okay«, sagte Emily und zog ihre Hand zurück. »Was dagegen, wenn ich mich setze?« Sie deutete auf den Sessel ihm gegenüber.
»Überhaupt nicht.« Jacko stellte den Teller, der nun bis auf ein paar abgenagte Knochen leer war, auf den Couchtisch zwischen ihnen und griff nach einer Papierserviette, um sich die Hände abzuwischen.
Emily ließ sich nieder. »Bist du nervös?«
Jacko zuckte die Achseln. »Nicht wirklich. Und du?«
»Ein wenig.« Sie wünschte sich, dass sie seine Augen sehen könnte. »Du hast deine Sache vorhin wirklich gut gemacht.«
»Danke. Du aber auch. Du singst sicherlich schon lange, nicht wahr?«
»Ja. Ich habe damit angefangen, weil ich als Kind meine Mutter immer in Nachtclubs auftreten sah.«
Jacko lächelte flüchtig. »Man vergisst niemals den Geruch, den man in der Nase hat, wenn man jemanden, der wirklich gut ist, in einem Club auftreten sieht, nicht wahr? Wenn sie einen verzaubern, dann hat man ständig den Drang, es selbst zu versuchen, um ihn wieder einzuatmen, diesen speziellen Geruch des Clubs, der einen an den denkwürdigen Auftritt erinnert, hm?«
»Genau das ist es.«
»Ja, ich weiß. Es ist eine Schande, dass Leute wie Nigel Powell das niemals begreifen werden. Er ist bloß ein Anzugträger, der versucht, diese Atmosphäre immer wieder aufs Neue zu erzeugen und damit Geld zu machen. Diese Show hat diesen magischen Geruch ganz sicher nicht. Dafür riecht es hier wie in einer Kloake.«
»Ja, kann schon sein. Aber es wäre trotzdem toll, wenn man gewinnt, oder etwa nicht?«
»Glaubst du?«
»Nun, ja. Du nicht?«
»Hey, es ist immer schön, wenn man gewinnt. Aber wenn man verliert, geht davon die Welt nicht unter.«
Emily konnte diesen Typen überhaupt nicht einschätzen. »Na schön, was ist denn mit dem Geld? Das wäre doch auch ganz schön, oder?«
Jacko beendete die Säuberung seiner Hände und legte die Serviette auf den Couchtisch. »Bist du nur deshalb hier? Wegen des Geldes?«
»Na ja, nein. Nicht nur wegen des Geldes.«
»Es geht dir auch um Ruhm, hm?« In der Art, wie er sprach, lag nichts Aggressives. Er drückte es nur so aus, dass es sich anhörte, als sei Emilys Streben nach Ruhm und Reichtum eine ziemlich oberflächliche Motivation.
»Versteh mich bitte nicht falsch«, sagte sie, als wollte sie sich verteidigen. »Die Aufmerksamkeit, die einem zuteilwird, ist sehr schön, aber das Geld ist wichtig. Es ist für meine Mutter bestimmt. Sie ist schwer krank, und das Geld würde ihr wirklich helfen.«
Jacko nickte lächelnd. »Klar. Ich weiß, was du meinst. Die Familie ist alles. Man muss sich um sie kümmern und für sie sorgen, selbst wenn man damit gegen seine eigenen Prinzipien verstößt, stimmt’s?«
»Was meinst du damit, dass ich gegen meine eigenen Prinzipien verstoße?« Sie spürte, wie ihr eine heiße Röte in die Wangen stieg.
Jacko wedelte mit der Hand in der Luft herum und deutete damit an, dass er den gesamten Zuschauerraum mit allem und jedem darin einschloss. »Ist dies wirklich der Grund, weshalb du mit dem Singen begonnen hast?«, fragte er. »Damit du irgendwann in einer Talentshow den Sieg erringst und viel Geld verdienst?«
»Bist du immer so direkt?«
»Ich wollte dich nicht beleidigen. Ich frage mich nur, ob dies hier der Grund ist, weshalb du mit der Musik angefangen hast.«
»Nun, entweder schaffe ich es hier oder ich klappre weiterhin die Bars und die Clubs ab, wo ich gerade genug verdiene, um halbwegs über die Runden zu kommen.«
Jacko nahm die Brille ab. »Es ist eine durch und durch ehrenwerte Methode, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten«, sagte er lächelnd.
»Ja, das ist es wohl. Aber es macht einen nicht reich, nicht wahr?«
»Also geht es am Ende doch nur um schnöden Mammon,
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