Das Buch Ohne Gnade: Roman
jetzt lieber nicht im Stich lassen. Denn wenn du einen Fehler machst und wir nur einmal falsch abbiegen, bist du ein toter Mann.«
»Okay. Bei der nächsten Kreuzung rechts abbiegen.«
Der Kid löste die Handbremse und rammte den Fuß aufs Gaspedal. Der Wagen ließ Sleepy Joe’s Diner hinter sich und schoss auf den Highway. Die durchdrehenden Hinterräder schleuderten eine Wolke aus Sand und Staub hoch. Als sie sich wieder gesenkt hatte, waren der Imbiss und die Tankstelle schon längst nicht mehr zu sehen.
An einer Kreuzung, knapp einen Kilometer die Straße hinunter, lenkte der Kid den Firebird nach rechts, wie Jacko es verlangt hatte. Der Wagen war von der bisherigen Fahrt mit Schmutz bedeckt, und diese ausgesprochen beschissene Betonstraße mit ihrer steinigen Fahrbahn und den zahlreichen Schlaglöchern bedeutete in keinerlei Hinsicht eine Verbesserung dieses Zustands.
»Was machst du denn ausgerechnet in dieser Gegend?«, fragte Jacko.
»Ich kümmere mich ausschließlich um meine Angelegenheiten. Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass du lieber das Gleiche tun solltest?«
Es wäre sicherlich nicht allzu schwierig gewesen, aus dieserAntwort abzuleiten, dass der Kid wenig Lust auf Smalltalk hatte. Jacko schien das jedoch völlig zu entgehen.
»Ich hoffe, in dem Hotel an diesem Gesangswettbewerb teilzunehmen«, fuhr er fort. »Du hast doch schon mal von dieser Back-From-The-Dead -Show gehört, nicht wahr?«
Der Kid antwortete nicht oder löste den Blick auch nur für eine Sekunde von der Straße vor ihnen. Jacko fuhr unverdrossen fort: »Weißt du, ich bin ein Michael-Jackson-Double.«
Der Kid atmete tief durch die Nase ein, hielt die Luft für einen kurzen Moment an und atmete dann langsam aus. Er gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben. Es war ein innerer Kampf, den er oft auszufechten hatte, vor allem an Halloween. Schließlich hob er den Blick von der Fahrbahn und sah Jacko an. Als er schließlich redete, klangen seine Worte überraschend vernünftig.
»Da er mittlerweile tot ist, werden bei dieser Show sicherlich Tausende von Michael-Jackson-Kopien auftreten. Alle wollen von seinem Ruhm profitieren. Warum bist du nicht einfach nur du selbst?«
»Man muss irgendeinen berühmten toten Sänger spielen. Und falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, ich bin nicht tot … oder berühmt.«
»Ich könnte dir zu beidem verhelfen.« Der raue, drohende Klang war wieder in die Stimme des Fremden zurückgekehrt.
Jacko runzelte die Stirn. »Ich vermute, du bist kein besonders geselliger Mensch, nicht wahr?«
»Das habe ich nicht nötig.«
»Meinst du? Nun, du wirst im Hotel eine ganze Menge Leute wie mich antreffen, und die sind eigentlich durch die Bank freundlich und umgänglich. Vielleicht solltest du mal ein wenig an deinen Umgangsformen arbeiten.«
Tiefe Stille setzte ein. Sogar der Firebird schien die Luft anzuhalten, bis der Kid knurrte: »Und du solltest lieber üben, die Klappe geschlossen zu halten.«
»Würde ich auch gerne tun«, erwiderte Jacko fröhlich, »aber ich muss meine Stimme aufwärmen.«
»Aber das tust du nicht in meinem Wagen.«
»Ach, nun komm schon, ich muss üben. Ich will beim Vorsingen für die Show den ›Earth Song‹ vortragen. Willst du mal hören?«
Der Kid krampfte die Hände um das Lenkrad. »Wenn du nur einen Ton von diesem Song singst, dann sorge ich dafür, dass die Schrei-Passagen ewig dauern.«
»Ich verstehe. Ich könnte auch ›Smooth Criminal‹ singen, wenn dir das lieber ist.«
Der Kid bremste scharf. Kreischend und mit qualmenden Reifen kam der Firebird schlingernd zum Stehen. »Raus«, knurrte der Fahrer.
Sogar Jacko erkannte, dass er es ernst meinte.
»Aber es ist noch ein ganzes Stück bis zum Hotel«, protestierte er. »Und du könntest dich ohne mich verfahren.«
Der Kid atmete mehrmals tief durch, während er überlegte, ob er eine Pistole herausholen und seinen Mitreisenden töten sollte oder nicht. Am Ende entschied er, ja, der Kerl verdiente den Tod, aber womit sollte er ihn töten? Mit bloßen Händen? Mit einem Messer? Oder sollte er ihm mit einem Pistolenknauf eins über den Schädel ziehen? Während er nach der Pistole in seiner Jackentasche griff, traf sein Mitfahrer eine weise Entscheidung.
»Ich sage jetzt nichts mehr. Ich erkläre dir nur noch den Weg. Wie wäre das?«
»Du würdest dann auf jeden Fall länger leben.«
»Cool.«
Der Kid trat aufs Gaspedal und der Wagen jagte den verlassenen Highway hinunter und wirbelte
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