Das Buch Ohne Gnade: Roman
betonierte Zufahrt führte zum Hoteleingang. Während der Bus zur Rückseite des Gebäudes weiterfuhr, starrte Sanchez mit offenem Mund auf die überwältigende Pracht der Anlage. Vielleicht war das Ganze doch nicht so übel. In Santa Mondega gab es kein einziges Gebäude, das dem hier auch nur entfernt nahekam. Das örtliche Museum war durchaus beeindruckend, sah jedoch neben diesem geradezu monströsen Bauwerk alt und baufällig aus.
Der Bus parkte auf dem hinteren Teil eines im Gegensatz zu dem auffälligen Mangel an Fahrzeugen vor dem Hotel außerordentlich dicht besetzten Parkplatzes. Nachdem er sein Reisegepäck aus dem Kofferabteil des Busses geangelt hatte, eilte Sanchez mit – für seine Verhältnisse – schnellen Schritten in die vordereEingangshalle des Hotels, ehe Annabel, die Mystische Lady, sich wieder an ihn hängen konnte. Vier breite weiße Marmorstufen bildeten den Aufgang zu einer imposanten gläsernen Doppeltür. Sanchez nahm jeweils zwei Stufen auf einmal und rannte fast durch die automatischen Türen, die sich für ihn öffneten, als er die oberste Stufe erreichte.
Auch das Foyer war riesig. Von der fast fünfzehn Meter hohen Decke hing ein prunkvoller Leuchter herab, in dessen mehreren tausend geschliffenen Kristallglastrauben sich das Licht brach. Der Fußboden bestand aus auf Hochglanz polierten, einander abwechselnden grauen und schwarzen Marmorplatten und weckte in Sanchez den dringenden Wunsch, sich die Schuhe auszuziehen, um ihn nicht zu beschädigen.
Und hier war die Hölle los! Offenbar war soeben die halbe freie Welt im Begriff einzuchecken. Überall drängten sich Leute mit Koffern und Reisetaschen und erzeugten einen dichten Lärmteppich. Sanchez hatte nicht viel für den Kontakt mit anderen Menschen übrig, und nach einer langen Reise in direkter Nachbarschaft mit jemandem, den er, in seinen freundlicheren Momenten, als schwachsinnige alte Krähe betrachtete, war er nicht gerade der Tolerantesten einer. Das ständige Gewusel vor ihm brachte seine Stimmung auf den Nullpunkt. Etwa einhundert Leute eilten vor ihm durch das Foyer. Es war groß genug, um jedem ausreichend Platz zu bieten, aber seine runde Form hatte zur Folge, dass jeder Laut von den cremeweißen Wänden zurück und direkt in Sanchez’ Ohren geworfen wurde.
Sanchez sah zu seiner Erleichterung, dass zahlreiche Gepäckträger, Pagen und Empfangsdamen sich um die Gäste kümmerten, die sich vor der Rezeption drängten. Das tröstete ihn ein wenig, da das Einchecken in einem Hotel ungefähr die verhassteste Tätigkeit war, die er sich vorstellen konnte. Er empfand sie als genauso schlimm, wie sich den Oberschenkel von einer abstoßenden Wahrsagerin tätscheln zu lassen.
Er erkannte schnell, dass seine Zeit mit dem Angaffen der Dimensionenund Üppigkeit seiner Umgebung zu vertrödeln ihn wahrscheinlich um die Chance bringen würde, schnell abgefertigt zu werden. Einige Leute hatten ihn bereits auf dem Weg zum Rezeptionstisch überholt. Infolgedessen schaltete Sanchez einen Gang höher und nahm Kurs auf eine der sechs Empfangsdamen. Sie saßen in einer Reihe hinter dem brusthohen Eichenpult und hatten jeweils einen Computerbildschirm vor sich. Fünf von ihnen waren bereits beschäftigt, aber die Bestaussehende schien frei zu sein.
Sanchez ging zu ihr hinüber und stellte seinen großen braunen Reisekoffer auf den Boden. Er grinste sie über das Pult hinweg dümmlich an. Ein schneller Blick zu den anderen bestätigte ihm, dass er eine Glückssträhne erwischt hatte. Zweifellos hatte er mit »seiner« Empfangsdame rein optisch den Vogel abgeschossen. Das war natürlich nur fair. Ein Mann seiner Klasse und Raffinesse sollte nicht gezwungen werden, seinen Charme an jede x-beliebige Braut zu verschwenden. Sie war eine zierliche junge Frau Anfang zwanzig mit langem dunklem Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengerafft und über ihre linke Schulter nach vorne gelegt war. Wie die anderen Empfangsdamen trug sie eine schicke Weste aus irgendeinem glänzenden roten Stoff und darunter eine makellose weiße Bluse. Auf die Weste war in Höhe der linken Brust ein goldenes Emblem aufgenäht. Indem er unangebracht lange darauf starrte, kam Sanchez zu dem Schluss, dass es eine Art Gabel darstellte. Eine seltsame Wahl für ein Emblem , dachte er. Aber verdammt noch mal, über Geschmack lässt sich nicht streiten.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?«, fragte die Hotelangestellte mit einem Akzent, der ihre Herkunft aus dem tiefen
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