Das Buch Ohne Gnade: Roman
Vogelscheuchenkostüm geschneidert, und obgleich es nicht gerade nach seinem Geschmack war, wusste er, dass sie sich bei seiner Anfertigunggroße Mühe gegeben hatte. Es war eine unbeabsichtigt brillante Wahl gewesen, denn als er die Halloween-Party betrat, hatte er Beth im Kostüm der Dorothy aus dem Zauberer von Oz angetroffen. Da sie dies als gutes Omen betrachteten, hatten sie auf das Tanzen verzichtet und waren hinaus auf den Pier gegangen. Die Straße dorthin bestand nicht gerade aus gelben Ziegeln, aber das hatte ihrer Stimmung keinen Abbruch getan. Das hatten erst die weiteren Ereignisse der Nacht geschafft.
Der Kid betrachtete sein Spiegelbild im Glas Bourbon und ließ sich zum Anflug eines Lächelns hinreißen. Vor seinem geistigen Auge konnte er noch immer Beth sehen, wie sie durch den Schulkorridor tanzte und dabei sang: »We’re off to see the Wizard, the Wonderful Wizard of Oz.« Er hatte ihren Gesang ziemlich schnell unterbrochen, sodass sie es noch nicht einmal bis zum Ende der ersten Strophe geschafft hatte. Hätte er die Gelegenheit gehabt, wäre er liebend gerne zu diesem Moment zurückgekehrt und hätte sie diesmal den ganzen verdammten Song singen lassen. Selbst wenn sie dabei nur noch albern ausgesehen hätte. Sie war auch keine besonders gute Sängerin, entsann er sich. Doch es waren gerade solche kleinen Makel, die die Erinnerung an sie für ihn so wertvoll machten.
Der Kid hatte Pläne, eines Tages nach Santa Mondega zurückzukehren und Beth zu suchen in der Hoffnung – um was zu tun? Eine Beziehung wieder aufleben zu lassen, die eigentlich niemals richtig in Gang gekommen war? Er hatte sich den größten Teil der vergangenen zehn Jahre von dem Ort ferngehalten und gewusst, dass auch sie nicht dort gewesen war. An jenem verfluchten Halloweenabend vor zehn Jahren war Beth verhaftet und beschuldigt worden, ihre Stiefmutter umgebracht zu haben. Der Kid kannte die Details des Falles nicht, aber es sah so aus, als sei sie von einem örtlichen Polizisten namens Archibald Somers verleumdet worden. Beth landete im Gefängnis, verurteilt zu zwanzig Jahren Haft wegen Mordes. Wenn sie immer noch das süße, sittsame Mädchen war, als das er sie damalsgekannt hatte, bestand die Chance, dass sie wegen guter Führung früher entlassen worden war. Tatsächlich war es genau das, was möglicherweise jeden Tag geschehen konnte.
Nichts im Leben des Kid war exakt so schwarz und weiß, wie es auf den ersten Blick erschien. Sein Problem mit Beth war, dass er, selbst wenn sie entlassen worden wäre, sie aus dem gleichen Grund nicht suchen könnte, aus dem er sie nicht im Gefängnis besuchen konnte. Er hatte viel zu viele Feinde. Falls irgendjemand wüsste, dass er immer noch an sie dachte, wäre sie schon bald das Ziel aller möglichen mörderischen Kreaturen, seien es Vampire, Werwölfe oder auch nur bis ins tiefste Innere verdorbene Menschen.
Er drehte das Whiskyglas in der Hand hin und her. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er darin als Spiegelbild das grinsende Gesicht des Vampirs, der seine Mutter vernichtet hatte. Das Bild bewirkte, dass seine Hand sich um das Glas krampfte, und er lockerte schnell den Griff, um zu vermeiden, dass er es zerdrückte.
Es gab einen einzigen Grund, weshalb der Kid Halloween im Hotel Pasadena verbrachte. Tatsache war, dass er nichts mehr liebte als einen guten, altmodischen Halloween-Blutrausch. Während einer Spazierfahrt durch Plainview, Texas, hatte er bei einem Wettkampf im Armdrücken mit einem Typen namens Rodeo Rex erfahren, dass es auf Devil’s Graveyard von Untoten nur so wimmelte. Während des Kampfes hatte Rex versucht, den Kid aus dem Konzept zu bringen, indem er damit prahlte, zum Graveyard zu fahren und im Namen Gottes eine gute Tat zu vollbringen und die Untoten endgültig ins Jenseits zu schicken. Mittlerweile hatte es ausgesehen, als würde das Duell ewig dauern, weil die beiden absolut gleich stark zu sein schienen. Obgleich er es hasste, egal welche Art Wettbewerb zu verlieren, hatte der Kid Rex gewinnen lassen. Nachdem er dem massigen Biker gestattet hatte, seinen Arm auf die Tischplatte zu drücken und den Sieg für sich zu reklamieren, hatte der Kid großen Wert darauf gelegt, die Handseines Gegners zu schütteln. Er hatte ihm dabei jeden einzelnen Knochen gebrochen, um zu gewährleisten, dass Rex seine Verabredung in Devil’s Graveyard nicht würde einhalten können. Die Untoten zu töten war jetzt ganz allein seine Aufgabe. Nachdem er Rex außer
Weitere Kostenlose Bücher