Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
das weit in die dunkle Nacht hinaus hallte, ließ ihn vor Schreck fast aus der Haut fahren. Er zerrte das Gerät hervor und drückte hastig auf die grüne Taste.
»Hallo, sind Sie das, Somers?«, flüsterte er in den Apparat.
»Wer sonst? Wie kommen Sie voran?«, drang Somers’ Stimme knackend aus dem kleinen Gerät.
»Ich bin an dem Ort, von dem wir gesprochen haben. Bis jetzt war noch nichts los. Wie steht’s mit Ihnen?«
»Ebenso. Ich hab ein paar Hotels überprüft, aber Sie wissen selbst, wie das ist. Eine Bande wenig hilfreicher Bastarde. Wie dem auch sei, der Grund für meinen Anruf ist – ich wollte Ihnen sagen, dass Sie unbedingt Ihr Mobiltelefon lautlos stellen müssen. Ich wusste nicht, wie vertraut Sie mit der Etikette beim Observieren sind.«
Jensen wand sich innerlich. »Selbstverständlich. Für was halten Sie mich? Abgesehen davon dachte ich, Sie hätten gesagt, dass wir das Telefon nicht benutzen sollen, außer es ist absolut notwendig?«
»Zugegeben, richtig. Entschuldigung. Es ist einfach so, dass wir nicht vorsichtig genug sein können. Wenn Sie das Gefühl haben, auch nur in der kleinsten Gefahr zu schweben, verschwinden Sie dort, okay?«
»Okay, Somers, mache ich. Keine Sorge.«
»Gut. Hören Sie, Jensen, ich melde mich bei Ihnen, wenn ich nachher Feierabend mache, also schalten Sie den Vibrationsalarm Ihres Handys ein, okay? Kleinigkeiten wie diese retten Leben, Jensen. Seien Sie bloß vorsichtig, es könnten überall bewaffnete Wachen rumlaufen. Wenn Sie nervös werden, schaffen Sie Ihren Hintern da weg.«
»Verstanden. Passen Sie auf sich auf.«
»Mach ich. Wir sprechen uns später.«
Jensen schaltete den Vibrationsalarm seines Handys ein und den Klingelton ab.
Verdammter Idiot, dachte er. So ein blutiger Anfängerfehler, sich vom Läuten des Telefons überraschen zu lassen.
Die Erkenntnis, dass er um ein Haar richtigen Mist gebaut hätte, verstärkte die Unruhe noch, die er bereits verspürte. Es wurde inzwischen sehr schnell sehr dunkel, und die Casa de Ville sah mehr und mehr unheimlich aus.
Jensen entschied sich, seinen Posten gegenüber dem Haupteingang nicht zu verlassen. Er blieb beinahe zwei Stunden dort und starrte hinüber zu einer herrschaftlichen Villa, in der sich nichts regte. Niemand kam, niemand ging, und merkwürdigerweise kam auch kein Fahrzeug die Straße entlang. Nicht ein einziges. Und kein Fußgänger. Nicht einmal ein im Wald lebendes Tier. Vielleicht wussten Mensch und Kreatur, dass man sich besser von diesem Ort fernhielt, nachdem es dunkel geworden war? Der Grund dafür war jedenfalls einfach zu erkennen. Sobald der Mond aufgegangen war und auf die Casa de Ville herab leuchtete, sah das Haus wirklich unheimlich aus, wie aus einem Alptraum. Zwei Stunden an diesem Ort waren mehr, als irgendjemand aushalten konnte.
Zur Hölle damit, dachte Jensen. Wenn die Wesen der Nacht, die Untoten, je aus ihren Höhlen kamen auf der Suche nach Beute, dann war er genau zur richtigen Zeit da. Und wahrscheinlich sogar am richtigen Ort.
Als die Zeiger der Uhr sich halb elf näherten, beschloss Jensen, dass es an der Zeit war, zum Wagen zurückzukehren. Der Rückweg würde schwierig genug werden durch das Gestrüpp, doch solange er die Straße sehen konnte, ohne sich selbst so weit zu nähern, dass man ihn von der Straße aus sah, war so weit alles in Ordnung.
Langsam erhob er sich aus seinem Versteck hinter dem Busch. Seine Beine waren in der Kälte ein wenig taub geworden, und er konnte spüren, wie sie anfingen sich zu verkrampfen. Er hatte gerade den ersten Schritt nach links gemacht, um zum Wagen zu marschieren, als er zum zweiten Mal in jener Nacht einen höllischen Schrecken erlebte.
Diesmal war es kein läutendes Telefon. Diesmal war es eine Stimme. Eine tiefe, kehlige Männerstimme von irgendwo hinter und über ihm.
»Ich dachte schon, Sie wollen die ganze Nacht da unten bleiben«, sagte sie. »Nicht viele Leute hätten so lange durchgehalten wie Sie.«
Jensens Herz drohte auszusetzen. Er wirbelte herum, um zu sehen, woher die Stimme gekommen war. Zuerst gab es nichts zu sehen außer dunklen Ästen und Zweigen. Dann entdeckte er die Umrisse einer noch dunkleren Gestalt; ein sehr großer Mann stand fast drei Meter über dem Boden oben in einem Baum auf einem Ast – genau über der Stelle, an der Jensen gekauert hatte.
Zweiundvierzig
Kacy saß bei ausgeschalteten Lichtern im Motelzimmer und starrte aus dem Fenster, während sie auf Dante wartete. Sie
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