Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
auszuschenken, war Sanchez nicht völlig ohne positive Eigenschaften. Geschwindigkeit gehörte allerdings nicht zu ihnen, sodass ihm das Prädikat der lahmen Ente zweifellos gebührte. Als er die Eingangstür erreichte, war nichts mehr zu sehen bis auf eine Staubwolke und darin das Heck eines gelben Cadillac, der über den Feldweg in Richtung Santa Mondega davonjagte.
Sanchez war kein aggressiver Mann, doch er kannte reichlich Leute in der Stadt, die genau diese Eigenschaft besaßen. Er wusste, an wen er sich wenden musste, wenn er sich an dem Besitzer des gelben Cadillac rächen wollte. Tatsächlich kannte er so viele Leute, dass es nicht lange dauern würde herauszufinden, wer Thomas und Audrey umgebracht hatte und was mit Jessica passiert war. Selbst wenn es keine Zeugen gab, würde er ganz genau herausfinden, was sich zugetragen hatte.
Wer auch immer verantwortlich war für die Morde und die Entführung Jessicas, er würde bezahlen. Denn eines war sicher: Sanchez kannte nicht nur Leute, die herausfinden konnten, was sich zugetragen hatte, er kannte auch eine Menge Leute, die etwas deswegen unternehmen konnten. Leute, die in seinem Namen Rache nehmen würden.
Er würde dafür bezahlen müssen, keine Frage, doch das war nicht das Problem. Seine Bar war – im Gegensatz zu ihm als Person – äußerst beliebt. Wenn jemand einen Drink brauchte, dann nahm er ihn in der Tapioca Bar zu sich. Ein ganzes Jahr lang freies Trinken war daher sicherlich genug Anreiz für jeden Mann in Santa Mondega, um Sanchez in der Stunde der Not auszuhelfen.
Wie es der Zufall wollte, hatte Sanchez nicht irgendjemanden im Sinn. Sanchez wollte den King. Den absolut besten Killer, den es in der Stadt gab.
Den Mann, den sie Elvis nannten.
Acht
Archibald Somers sah ganz genauso aus, wie Jensen sich das ausgemalt hatte. Er war Ende vierzig, vielleicht Anfang fünfzig, und er sah aus wie der Moderator einer billigen Spielshow im Fernsehen. Zurückgegelte graue Haare, schicke graue Hosen mit messerscharfen Bügelfalten und ein weißes Hemd mit senkrecht verlaufenden schmalen braunen Streifen. In einem Schulterhalfter auf der linken Seite seines Brustkorbs baumelte eine Pistole. Für einen Mann seines Alters war er in einigermaßen guter Form. Kein unansehnlicher Bierbauch, keine bis unter die Achselhöhlen hochgezogenen Hosen. Jensen hoffte, in diesem Alter noch genauso in Form zu sein. Für den Moment jedoch war er Anfang dreißig und extrem fit und zufrieden damit.
Das Büro, das er sich mit Somers teilte, befand sich versteckt in einem dunklen Korridor im dritten Stock des Hauptquartiers. Sämtliche anderen Zimmer entlang dem Korridor besaßen ungefähr die gleiche Größe. Eines war ein Besenschrank, ein weiteres ein Erste-Hilfe-Raum, und dann gab es noch die Toiletten. Jensen wusste nicht zu sagen, welche Funktion ihr Raum gehabt hatte, ehe er zu dem Büro geworden war, das er sich nun mit Somers teilte, und er wollte es auch gar nicht wissen. Nichts Glamouröses, so viel war sicher. Der Raum verfügte dennoch über einen gewissen Charakter – die dunkle, mit Firniss überzogene Holztür und die antiken Schreibtische verliehen ihm entschieden mehr Charme als die abgeteilten Nischen draußen im Großraumbüro. Es waren die gefängnisgrünen Wände, die den ansonsten positiven Eindruck zerstörten.
Somers war irgendwann gegen Mittag im Büro aufgetaucht. Jensen hatte bis zu diesem Zeitpunkt bereits herausgefunden, dass der große Schreibtisch mitten im Zentrum ihres frisch umgebauten Büros Somers gehörte, also hatte er sich den kleineren in der Ecke genommen, wo das Licht schlecht war, und angefangen, seine wenigen persönlichen Sachen auszupacken und zu verstauen.
»Sie müssen Detective Somers sein!«, sagte er. »Erfreut, Sie kennenzulernen.« Er erhob sich und streckte dem anderen Mann, der das Büro betreten hatte, die Hand entgegen.
»Miles Jensen, richtig?«, antwortete Somers, ergriff seine Hand und schüttelte sie fest. »Sie sind mein neuer Partner, wie?«
»Das ist richtig.« Jensen lächelte. Bis jetzt machte Somers gar keinen schlechten Eindruck.
»Alle haben Ihnen erzählt, ich wäre ein Arschloch, richtig?«, fragte Somers und umrundete seinen großen Schreibtisch.
»Es wurde erwähnt, ja.«
»Sicher. Man mag mich nicht besonders. Ich gehöre zur ›Alten Schule‹, verstehen Sie? Die meisten der anderen Jungs da draußen haben nichts als ihre Karriere und die nächste Beförderung im Sinn. Sie geben einen
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